Triage

Die Triage ist ein entscheidender Prozess im medizinischen Bereich, der darauf abzielt, Patienten in einer Notfallsituation nach der Schwere ihrer Erkrankung oder Verletzung zu priorisieren. Dies ist besonders in Situationen von großem Patientenaufkommen oder Ressourcenknappheit von Bedeutung, wie etwa bei Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder in überlasteten Notaufnahmen. Der Begriff „Triage“ stammt aus dem Französischen und bedeutet „sortieren“ oder „auswählen“. Ursprünglich wurde das Konzept in der Militärmedizin entwickelt, hat sich aber seitdem zu einem Standardverfahren in zivilen medizinischen Notfällen weltweit entwickelt.

Grundlagen und Prinzipien der Triage

Triage basiert auf der Einschätzung und Priorisierung von Patienten basierend auf ihrer medizinischen Dringlichkeit. Die grundlegenden Prinzipien umfassen:

Priorisierung der Behandlungsnotwendigkeit

Patienten werden in Kategorien eingeteilt, die den Dringlichkeitsgrad ihrer medizinischen Versorgung widerspiegeln. Dies hilft dabei, Ressourcen effizient zu nutzen und sicherzustellen, dass diejenigen, die sofortige Hilfe benötigen, diese auch erhalten.

Evidenzbasierte Entscheidungsfindung

Die Entscheidungen während der Triage basieren auf klinischen Einschätzungen, die durch evidenzbasierte Richtlinien und Protokolle unterstützt werden. Dies minimiert subjektive Urteile und erhöht die Konsistenz der Priorisierung.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Triage-Protokolle müssen flexibel genug sein, um an unterschiedliche Notfallszenarien und sich ändernde Bedingungen angepasst werden zu können. Dies schließt die Verfügbarkeit von Ressourcen und das Patientenaufkommen ein.

Triage-Kategorien und -Systeme

Es gibt mehrere etablierte Triage-Systeme, die weltweit verwendet werden. Zu den bekanntesten gehören:

START (Simple Triage and Rapid Treatment)

Dieses System wird häufig bei Massenunfällen eingesetzt. Es kategorisiert Patienten in vier Gruppen: Rot (sofortige Behandlung), Gelb (verzögerte Behandlung), Grün (geringfügige Verletzungen) und Schwarz (nicht überlebensfähig).

Manchester Triage System (MTS)

In vielen Krankenhäusern und Notaufnahmen verwendet, ordnet das MTS Patienten in fünf Dringlichkeitsstufen ein, von sofortiger Behandlung (Rot) bis hin zu nicht dringlich (Blau).

Emergency Severity Index (ESI)

Ein weiteres weit verbreitetes System, das Patienten in fünf Stufen einteilt, basierend auf der Schwere ihrer Erkrankung und den benötigten Ressourcen.

Durchführung der Triage

Die Triage beginnt in der Regel mit einer schnellen und systematischen Einschätzung der Patienten durch geschultes medizinisches Fachpersonal. Dieser Prozess umfasst:

  • 1. Erstbewertung
    • Eine kurze Beurteilung der Vitalfunktionen und des Bewusstseinszustands des Patienten. Dies kann innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten geschehen.
  • 2. Sekundärbewertung
    • Eine detailliertere Untersuchung, um die spezifischen medizinischen Bedürfnisse des Patienten zu bestimmen. Dies schließt eine Anamnese und eine physische Untersuchung ein.
  • 3. Entscheidungsfindung
    • Basierend auf den gesammelten Informationen wird der Patient in die entsprechende Triage-Kategorie eingestuft und entsprechende Maßnahmen eingeleitet.

Herausforderungen und ethische Überlegungen

Die Triage ist nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische Herausforderung. Zu den häufigsten ethischen Dilemmata gehören:

  • Verteilung knapper Ressourcen
    • In Extremsituationen müssen Entscheidungen darüber getroffen werden, wie begrenzte Ressourcen wie Beatmungsgeräte oder Blutkonserven verteilt werden. Dies erfordert eine Abwägung zwischen dem Nutzen für den Einzelnen und dem Nutzen für die Gesamtbevölkerung.
  • Gerechtigkeit und Gleichheit
    • Es muss sichergestellt werden, dass alle Patienten fair behandelt werden, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht, ethnischen Hintergrund oder sozialen Status.
  • Kommunikation und Transparenz
    • Offene und ehrliche Kommunikation mit Patienten und ihren Angehörigen ist entscheidend, um das Vertrauen zu bewahren und Missverständnisse zu vermeiden.

Schulung und Vorbereitung

Um eine effektive Triage durchführen zu können, ist eine umfassende Schulung des medizinischen Personals erforderlich. Dies schließt theoretische Kenntnisse sowie praktische Übungen ein. Regelmäßige Schulungen und Simulationen helfen dabei, die Fähigkeiten und das Vertrauen des Personals zu stärken.

Beispiele für Triage in der Praxis

Die Umsetzung der Triage in der Praxis kann je nach Szenario erheblich variieren. Hier sind einige Beispiele, die zeigen, wie Triage in verschiedenen Situationen angewendet wird:

Naturkatastrophen

Bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Hurrikans kann die Zahl der Verletzten die lokalen Gesundheitsressourcen schnell überfordern. In solchen Fällen ist die Triage von entscheidender Bedeutung, um diejenigen zu identifizieren, die sofortige medizinische Hilfe benötigen, und diejenigen, deren Behandlung verzögert werden kann.

Beispiel: Erdbeben in Haiti 2010

Das Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 führte zu einer massiven Anzahl von Verletzten, die das Gesundheitssystem des Landes überforderten. Internationale Hilfsorganisationen setzten das START-Triage-System ein, um Patienten zu kategorisieren. Dieses System half dabei, schnell diejenigen zu identifizieren, die sofortige chirurgische Eingriffe benötigten, von denen, die stabilisiert und später behandelt werden konnten.

Massenunfälle

Massenunfälle, wie Verkehrsunfälle mit vielen Beteiligten, erfordern eine schnelle und effiziente Triage vor Ort, um die Überlebenschancen der Verletzten zu maximieren.

Beispiel: Zugunglück in Eschede 1998

Beim Zugunglück von Eschede in Deutschland 1998 kollidierte ein ICE-Zug, was zu vielen Todesfällen und Verletzungen führte. Die Einsatzkräfte verwendeten ein modifiziertes Triage-System, um die Verletzten zu kategorisieren und priorisieren. Dieses System half dabei, die schwerstverletzten Patienten schnell zu identifizieren und in die nächstgelegenen Krankenhäuser zu transportieren, die für die entsprechende Behandlung ausgestattet waren.

Terroranschläge

Bei Terroranschlägen, wie Bombenanschlägen, ist die schnelle Identifizierung und Behandlung von Opfern mit lebensbedrohlichen Verletzungen von größter Bedeutung.

Beispiel: Terroranschläge in Paris 2015

Die Terroranschläge in Paris im November 2015 führten zu einer großen Anzahl von Verletzten an mehreren Orten. Die Notfalldienste nutzten das MTS (Manchester Triage System) und das ESI (Emergency Severity Index), um die Opfer zu priorisieren und zu behandeln. Die schnelle und effiziente Triage half dabei, die Überlebenschancen der Schwerverletzten zu erhöhen und die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen.

Pandemien

Während Pandemien, wie der COVID-19-Pandemie, ist die Triage nicht nur auf die Notaufnahme beschränkt, sondern wird auch in der gesamten Gesundheitsversorgung angewendet, um die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Intensivbetten und Beatmungsgeräten zu optimieren.

Beispiel: COVID-19-Pandemie

Während der COVID-19-Pandemie mussten viele Krankenhäuser weltweit Triage-Protokolle einführen, um die knappen Intensivpflegebetten und Beatmungsgeräte zu verwalten. Patienten wurden basierend auf ihrer klinischen Präsentation und ihren Prognosen kategorisiert. Solche Protokolle halfen dabei, sicherzustellen, dass diejenigen, die am meisten von einer intensiven Behandlung profitieren würden, diese auch erhielten.

Routine Notaufnahmen

Auch in routinemäßigen Notaufnahmen wird Triage täglich angewendet, um Patienten basierend auf der Dringlichkeit ihrer medizinischen Bedürfnisse zu priorisieren.

Beispiel: Notaufnahme in einem städtischen Krankenhaus

In einem großen städtischen Krankenhaus wird das Manchester Triage System (MTS) verwendet, um Patienten zu kategorisieren. Ein Patient mit starken Brustschmerzen wird sofort (Rot) behandelt, während jemand mit einem verstauchten Knöchel als weniger dringend (Grün oder Blau) eingestuft und entsprechend später behandelt wird. Dieses System hilft, die Effizienz der Notaufnahme zu maximieren und sicherzustellen, dass die kritischsten Fälle zuerst behandelt werden.

Geschichte der Triage

Die Geschichte der Triage ist tief in der Militärmedizin verwurzelt und hat sich über die Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt, um den Bedürfnissen moderner medizinischer Notfälle gerecht zu werden. Der Begriff „Triage“ wurde im frühen 19. Jahrhundert geprägt, doch das Konzept selbst lässt sich noch weiter zurückverfolgen.

Ursprünge in der Militärmedizin

Die frühesten Formen der Triage entstanden während der Napoleonischen Kriege, als der französische Militärchirurg Dominique Jean Larrey (1766 – 1842) das Konzept der Triage entwickelte, um verwundete Soldaten auf dem Schlachtfeld zu priorisieren. Larrey erkannte die Notwendigkeit, die Verwundeten nach der Dringlichkeit ihrer medizinischen Versorgung zu sortieren, um die Überlebenschancen zu maximieren.

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Triage weiter verfeinert. Die extreme Zahl der Verwundeten und die begrenzten medizinischen Ressourcen zwangen die Ärzte, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Soldaten sofort behandelt werden sollten und welche warten konnten. Diese Praktiken wurden auch im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt und weiterentwickelt, was zu einer Standardisierung der Triageverfahren führte.

Entwicklung in der zivilen Medizin

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Triage, sich auch in der zivilen Medizin zu etablieren. Die zunehmende Häufigkeit von Naturkatastrophen, Industrieunfällen und anderen Großereignissen machte es notwendig, effiziente Systeme zur Priorisierung von Patienten zu entwickeln. In den 1960er und 1970er Jahren wurden in vielen Ländern formalisierte Triage-Protokolle eingeführt, die auf den Erfahrungen aus der Militärmedizin basierten.

Ein bedeutender Fortschritt war die Einführung des START-Systems (Simple Triage and Rapid Treatment) in den 1980er Jahren, das ursprünglich für den Einsatz bei Massenunfällen in den USA entwickelt wurde. Dieses System bietet eine schnelle Methode zur Klassifizierung von Patienten und ist bis heute weit verbreitet.

Moderne Entwicklungen und globale Anwendung

In den letzten Jahrzehnten hat die Triage weltweit an Bedeutung gewonnen, nicht nur in der Notfallmedizin, sondern auch in der alltäglichen Krankenhauspraxis. Systeme wie das Manchester Triage System (MTS) und der Emergency Severity Index (ESI) wurden entwickelt, um eine einheitliche und standardisierte Bewertung der Patienten in Notaufnahmen zu ermöglichen.

Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung und die Herausforderungen der Triage erneut in den Vordergrund gerückt. Angesichts der enormen Zahl von Patienten und der begrenzten Ressourcen mussten Krankenhäuser weltweit Triage-Protokolle anpassen und neu bewerten, um den Anforderungen dieser globalen Gesundheitskrise gerecht zu werden.

Zusammenfassung

Die Triage ist ein unverzichtbares Werkzeug im medizinischen Notfallmanagement. Sie ermöglicht es, in Situationen mit begrenzten Ressourcen schnell und effizient zu handeln, um die bestmöglichen Ergebnisse für die Patienten zu erzielen. Eine sorgfältige Planung, kontinuierliche Schulung und ethische Sensibilität sind entscheidend, um die Herausforderungen der Triage erfolgreich zu meistern und die Versorgung der Patienten zu optimieren.

Die Geschichte der Triage zeigt eine kontinuierliche Entwicklung und Anpassung an die sich ändernden Anforderungen der medizinischen Versorgung. Vom Schlachtfeld des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zu modernen Krankenhäusern und Notfallsituationen hat die Triage eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Patientenversorgung und der effizienten Nutzung begrenzter Ressourcen gespielt. Die kontinuierliche Weiterentwicklung und Schulung in Triage-Techniken bleiben unerlässlich, um den Herausforderungen zukünftiger medizinischer Notfälle gerecht zu werden.

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