Pflegegrade

Wortart:
Substantiv, maskulin
Aussprache (IPA):
[pfleːgəˌgʀaːt]
Plural:
Pflegegrade
Trennung:
Pfle|ge|grad
Synonym:
Pflegestufe

Die Pflegegrade in Deutschland sind ein zentraler Bestandteil des deutschen Sozialsystems und dienen der Einstufung des Pflegebedarfs von Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen. Seit dem 1. Januar 2017 ersetzt das System der Pflegegrade die früheren Pflegestufen. Ziel dieser Reform war es, eine gerechtere und umfassendere Beurteilung der Pflegebedürftigkeit zu gewährleisten.

Hintergrund

Die Reform des Pflegesystems in Deutschland, insbesondere die Einführung der Pflegegrade und das Pflegestärkungsgesetz, markiert einen entscheidenden Wandel in der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Diese Reformen sind notwendig geworden aufgrund der demografischen Veränderungen und der wachsenden Anzahl an pflegebedürftigen Menschen. In diesem Abschnitt beleuchten wir die Hintergründe und die Notwendigkeit dieser Veränderungen.

Pflegegrade und ihre Leistungen

Die Pflegegrade reichen von 1 bis 5 und unterscheiden sich in der Schwere der Pflegebedürftigkeit. Jede Stufe bringt spezifische Leistungen mit sich:

Pflegegrad 1

Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten.

  • Leistungen
    ➜ Entlastungsbetrag von 125 Euro pro Monat
    ➜ Zuschüsse für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen.

Pflegegrad 2

Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten.

  • Leistungen
    ➜ Pflegegeld von 316 Euro pro Monat
    ➜ Pflegesachleistungen bis zu 689 Euro pro Monat
    ➜ Kurzzeitpflege bis zu 1.774 Euro pro Jahr.

Pflegegrad 3

Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten.

  • Leistungen
    ➜ Pflegegeld von 545 Euro pro Monat
    ➜ Pflegesachleistungen bis zu 1.298 Euro pro Monat
    ➜ Verhinderungspflege bis zu 1.612 Euro pro Jahr.

Pflegegrad 4

Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten.

  • Leistungen
    ➜ Pflegegeld von 728 Euro pro Monat
    ➜ Pflegesachleistungen bis zu 1.612 Euro pro Monat
    ➜ Tages- und Nachtpflege bis zu 1.612 Euro pro Monat.

Pflegegrad 5

Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

  • Leistungen
    ➜ Pflegegeld von 901 Euro pro Monat
    ➜ Pflegesachleistungen bis zu 1.995 Euro pro Monat,
    ➜ Tages- und Nachtpflege bis zu 1.995 Euro pro Monat.

Der Antragsprozess

Der Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung kann von der pflegebedürftigen Person selbst oder von einem gesetzlichen Vertreter gestellt werden. Der Prozess umfasst folgende Schritte:

  • Antragstellung
    • Der Antrag muss bei der Pflegekasse der Krankenkasse gestellt werden. Hierbei können Formulare und Hilfen von der Krankenkasse bereitgestellt werden.
  • Begutachtung
    • Nach Eingang des Antrags beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (MD), eine Begutachtung durchzuführen. Dies erfolgt in der Regel durch einen Hausbesuch.
  • Gutachten
    • Der MD erstellt ein Gutachten auf Basis des neuen Begutachtungsinstruments (NBA), welches die Selbstständigkeit und Fähigkeiten der Person in verschiedenen Bereichen bewertet.
  • Einstufung und Bescheid
    • Die Pflegekasse entscheidet auf Basis des Gutachtens über den Pflegegrad und informiert den Antragsteller schriftlich über den Bescheid.

Der Medizinische Dienst ist in Deutschland der sozialmedizinische Beratungs- und Begutachtungsdienst für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung.

Sozialgesetzbuch und rechtliche Grundlagen

Die gesetzlichen Grundlagen für die Pflegeversicherung finden sich im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Hier sind die Ansprüche, Leistungen und Verfahren geregelt. Wesentliche Punkte sind:

  • Pflegebedürftigkeit
    • Nach § 14 SGB XI liegt Pflegebedürftigkeit vor, wenn eine Person gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweist und deshalb auf Hilfe angewiesen ist.
  • Leistungsarten
    • § 28 SGB XI unterscheidet zwischen Pflegegeld, Pflegesachleistungen, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und weiteren Leistungen.
  • Begutachtungsverfahren
    • § 18 SGB XI regelt das Begutachtungsverfahren durch den Medizinischen Dienst (MD).

Der Begutachtungsprozess

Für medizinisches Personal ist es wichtig, den Begutachtungsprozess und die Kriterien zu verstehen:

Das neue Begutachtungsassessment (NBA)

Bewertet werden sechs Module:

  • Modul 1: Mobilität
  • Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  • Modul 4: Selbstversorgung
  • Modul 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  • Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte

Punktesystem

Jedes Modul wird anhand eines Punktesystems bewertet, das letztlich den Pflegegrad bestimmt. Die Gesamtpunktzahl reicht von 12,5 bis 100 Punkte, wobei die Zuordnung zu den Pflegegraden wie folgt erfolgt:

  • Pflegegrad 1: 12,5 – 27 Punkte
  • Pflegegrad 2: 27 – 47,5 Punkte
  • Pflegegrad 3: 47,5 – 70 Punkte
  • Pflegegrad 4: 70 – 90 Punkte
  • Pflegegrad 5: 90 – 100 Punkte

Durchführung der Begutachtung

Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) ist ein zentraler Schritt im Prozess der Pflegegradfeststellung. Dieser Abschnitt bietet eine detaillierte Beschreibung des Ablaufs und der Bewertungskriterien, die bei der Begutachtung durch den MD angewendet werden.

Vorbereitung auf die Begutachtung

Vor der eigentlichen Begutachtung erhalten die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen Informationen darüber, was sie erwartet und welche Unterlagen und Informationen bereitgehalten werden sollten. Wichtige Dokumente umfassen:

  • Ärztliche Atteste und Berichte
  • Medikamentenpläne
  • Pflegetagebücher
  • Berichte von Therapeuten oder Pflegediensten

Ablauf der Begutachtung

  • Terminvereinbarung
    ➜ Nachdem der Antrag bei der Pflegekasse eingegangen ist, setzt sich der MD mit dem Antragsteller in Verbindung, um einen Termin für den Hausbesuch zu vereinbaren.
  • Hausbesuch
    ➜ Der Gutachter des MD besucht den Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung. Dies ermöglicht eine realistische Einschätzung der alltäglichen Lebensumstände und der individuellen Pflegebedarfe.
  • Gespräch und Beobachtung
    ➜ Während des Besuchs führt der Gutachter ein ausführliches Gespräch mit dem Pflegebedürftigen und ggf. den Angehörigen. Es werden Fragen zu den täglichen Aktivitäten und der Unterstützung, die der Pflegebedürftige benötigt, gestellt. Zudem beobachtet der Gutachter die Fähigkeit des Pflegebedürftigen, bestimmte Tätigkeiten selbstständig auszuführen.
  • Bewertung nach dem Neuen Begutachtungsassessment (NBA)
    ➜ Das NBA ist ein standardisiertes Verfahren, das in sechs Module unterteilt ist:
    • Modul 1: Mobilität (10 % Gewichtung)
      • Fähigkeit, sich innerhalb der Wohnung zu bewegen, Treppen zu steigen, aufzustehen und sich zu setzen.
    • Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (15 % Gewichtung)
      • Verstehen und Sprechen, Erkennen von Personen, Orts- und Zeitorientierung.
    • Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (15 % Gewichtung)
      • Nächtliche Unruhe, Ängste, Aggressivität, sozial unangemessenes Verhalten.
    • Modul 4: Selbstversorgung (40 % Gewichtung)
      • Körperpflege, Ernährung, Toilettengang.
    • Modul 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20 % Gewichtung)
      • Medikation, Injektionen, Verbandwechsel, Arztbesuche.
    • Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15 % Gewichtung)
      • Gestaltung des Tagesablaufs, Teilnahme an sozialen Aktivitäten.
  • Punktesystem
    ➜ Jedes Modul wird anhand eines Punktesystems bewertet. Die erreichten Punkte werden dann gewichtet und zu einer Gesamtpunktzahl summiert, die den Pflegegrad bestimmt.

Nach der Begutachtung

  • Erstellung des Gutachtens
    ➜ Nach dem Hausbesuch erstellt der MD ein Gutachten, das die Ergebnisse der Begutachtung detailliert darstellt. Dieses Gutachten wird an die Pflegekasse übermittelt.
  • Entscheidung der Pflegekasse
    ➜ Auf Grundlage des MD-Gutachtens entscheidet die Pflegekasse über den Pflegegrad und die entsprechenden Leistungen. Der Antragsteller erhält einen schriftlichen Bescheid, der den festgestellten Pflegegrad und die bewilligten Leistungen enthält.
  • Widerspruchsverfahren
    ➜ Sollte der Antragsteller mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden sein, besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen. In diesem Fall wird der Antrag erneut überprüft, und es kann zu einer erneuten Begutachtung kommen.

Bedeutung für medizinisches Personal

Für medizinisches Personal ist es von entscheidender Bedeutung, die Pflegegrade und den damit verbundenen Prozess zu verstehen, um pflegebedürftige Patienten und deren Angehörige optimal zu unterstützen. Hierzu gehören:

  • Beratung
    • Patienten und Angehörige über die Möglichkeiten und den Ablauf der Beantragung informieren.
  • Dokumentation
    • Wichtige Informationen und medizinische Befunde bereitstellen, die für die Begutachtung relevant sind.
  • Kooperation
    • Eng mit dem MD zusammenarbeiten, um eine möglichst genaue Einschätzung der Pflegebedürftigkeit zu gewährleisten.
  • Begleitung
    • Bei Bedarf den Patienten während der Begutachtung begleiten und zusätzliche medizinische Informationen liefern.

Zusammenfassung

Die Pflegegrade in Deutschland sind ein komplexes, aber essenzielles System zur Unterstützung pflegebedürftiger Menschen. Ein tiefes Verständnis der verschiedenen Leistungsstufen, des Antragsprozesses, der gesetzlichen Grundlagen und des Begutachtungsverfahrens ist für medizinisches Personal unerlässlich, um eine umfassende und effektive Betreuung zu gewährleisten. Durch die richtige Anwendung dieses Wissens können Patienten bestmöglich unterstützt und ihre Lebensqualität verbessert werden.

Quellen

  • Bundesministerium für Gesundheit. (2021) Die Pflegegrade – Pflegebedürftigkeit neu definiert. Verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegegrade.html (Zugriff: 20. Juli 2024).
  • Deutscher Bundestag. (2017) Gesetz zur Reform der Pflegeversicherung (Pflegestärkungsgesetz II). Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw05-pflegestaerkungsgesetz/491090 (Zugriff: 20. Juli 2024).
  • Medizinischer Dienst Bund. (2023) Das neue Begutachtungsassessment (NBA). Verfügbar unter: https://www.md-bund.de/begutachtung-pflegebeduerftigkeit (Zugriff: 20. Juli 2024).
  • Sozialgesetzbuch XI (SGB XI). (2021) Soziale Pflegeversicherung. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/ (Zugriff: 20. Juli 2024).
  • Pflegekasse der Krankenkassen. (2022) Antragsverfahren für Pflegeleistungen. Verfügbar unter: https://www.pflegekasse.de/antragstellung (Zugriff: 20. Juli 2024).