Vollelektrolytlösung (VEL)

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[fɔlɛlɛkˌtʁoːˌlyːtˌløːzʊŋ]
Plural:
Vollelektrolytlösungen
Abkürzung:
VEL
Trennung:
Vol|le|lek|tro|lyt|lö|sung
Synonym:
balancierte Infusionslösung
Englisch:
full electrolyte solution

Vollelektrolytlösungen (VEL) spielen eine zentrale Rolle in der modernen Medizin, insbesondere in der Intensiv- und Notfallmedizin. Sie sind essentielle Komponenten der intravenösen Flüssigkeitstherapie und werden zur Behandlung einer Vielzahl von klinischen Zuständen wie Dehydration, Elektrolytstörungen und Schockzuständen eingesetzt.

Definition und Zusammensetzung

Vollelektrolytlösungen sind wässrige Lösungen, die eine ausgewogene Mischung von Elektrolyten enthalten. Zu den wichtigsten Elektrolyten gehören Natrium (Na+), Kalium (K+), Calcium (Ca2+), Magnesium (Mg2+), Chlorid (Cl), und Bikarbonat (HCO3-). Diese Lösungen sind so formuliert, dass sie die physiologischen Konzentrationen der Elektrolyte im Blutplasma nachahmen, was eine optimale Zellfunktion und Homöostase unterstützt.

Wirkungsweise von Vollelektrolytlösungen

Vollelektrolytlösungen (VEL) sind ein wesentliches therapeutisches Mittel in der modernen Medizin, insbesondere in der Notfall- und Intensivmedizin. Ihre Hauptfunktion besteht darin, den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des Körpers zu stabilisieren. Um die Wirksamkeit dieser Lösungen vollständig zu verstehen, ist es wichtig, die physiologischen Grundlagen ihrer Wirkungsweise zu kennen.

Physiologische Grundlagen

Der menschliche Körper besteht zu etwa 60% aus Wasser, welches sich auf intra- und extrazelluläre Kompartimente verteilt. Elektrolyte wie Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulation des Flüssigkeitshaushalts, der Nervenfunktion, der Muskelkontraktion und vielen anderen biologischen Prozessen.

  • Intrazelluläre Flüssigkeit (ICF)
    ➜ Dieser Raum enthält etwa zwei Drittel des gesamten Körperwassers und ist reich an Kalium und Magnesium.
  • Extrazelluläre Flüssigkeit (ECF)
    ➜ Dieser Raum enthält das restliche Drittel des Körperwassers und ist reich an Natrium und Chlorid. Er unterteilt sich weiter in interstitiellen Raum und Plasma.

Wirkungsmechanismen

Die Wirkung von Vollelektrolytlösungen beruht auf mehreren Mechanismen:

  • Volumenersatz
    ➜ Vollelektrolytlösungen werden verwendet, um das intravasale Volumen zu erhöhen, insbesondere bei Zuständen wie Hypovolämie und Schock. Sie sorgen dafür, dass ausreichend Flüssigkeit im Blutkreislauf vorhanden ist, um eine adäquate Gewebeperfusion und Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. Durch den Einsatz isotoner Lösungen wird verhindert, dass Flüssigkeit in das Interstitium austritt, was das Risiko eines Lungenödems reduziert.
  • Elektrolytausgleich
    Elektrolyte sind entscheidend für die Aufrechterhaltung der Zellfunktion. Vollelektrolytlösungen helfen dabei, Elektrolytimbalancen zu korrigieren, indem sie eine ausgewogene Mischung von Elektrolyten liefern, die den physiologischen Verhältnissen im Körper entspricht. Beispielsweise kann eine Lösung, die Kalium enthält, Hypokaliämie entgegenwirken, während eine Lösung mit Kalzium Hypokalzämie behandeln kann.
  • Säure-Basen-Haushalt
    ➜ Einige Vollelektrolytlösungen enthalten Puffer wie Lactat oder Acetat, die dabei helfen, den pH-Wert des Blutes zu stabilisieren. Dies ist besonders wichtig bei Patienten mit metabolischer Azidose, einem Zustand, bei dem der Blut-pH-Wert abnorm niedrig ist. Lactat wird in der Leber zu Bikarbonat metabolisiert, das als Puffer fungiert und zur Korrektur der Azidose beiträgt.

Typen von Vollelektrolytlösungen

Häufige Vollelektrolytlösungen

  1. Ringer-Lactat-Lösung (Ringer-Lactate, RL)
    ➜ Diese Lösung enthält Natrium, Kalium, Calcium, Chlorid und Lactat. Sie wird häufig zur Behandlung von Dehydration und Schock verwendet, da sie den Flüssigkeits- und Elektrolytverlust schnell ersetzen kann.
  2. Hartmann-Lösung
    ➜ Diese Lösung ist ähnlich wie Ringer-Lactat, enthält jedoch eine leicht unterschiedliche Zusammensetzung und wird oft in der postoperativen Phase verwendet.
  3. Plasma-Lyte
    ➜ Diese Lösung enthält Natrium, Kalium, Magnesium, Chlorid und Acetat. Sie ist isotonisch und gut verträglich, was sie zu einer ausgezeichneten Wahl für eine Vielzahl von klinischen Situationen macht.
  4. Jonosteril
    ➜ Jonosteril ist eine Vollelektrolytlösung, die Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium, Chlorid und Acetat enthält. Es ist besonders geeignet für die Behandlung von Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten sowie zur parenteralen Ernährung. Jonosteril ist bekannt für seine gute Verträglichkeit und vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten.
  5. Sterofundin
    ➜ Sterofundin enthält Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium, Chlorid, Acetat und Lactat. Es ist eine ausgewogene Elektrolytlösung, die häufig in der Intensivmedizin zur Volumentherapie und zur Korrektur von Elektrolytimbalancen verwendet wird. Sterofundin ist isotonisch und bietet eine gute physiologische Kompatibilität.

Beispiele: Elektrolytspektren (mmol/L)

LösungNa+K+Ca2+Mg2+Cl
Ringer-Lactat130 mEq/L4 mEq/L3 mEq/L109 mEq/L
Hartmann-Lösung131 mEq/L5 mEq/L2 mEq/L111 mEq/L
Plasma-Lyte140 mEq/L5 mEq/L3 mEq/L98 mEq/L
Jonosteril140 mEq/L4 mEq/L2.5 mEq/L1.5 mEq/L103 mEq/L
Sterofundin145 mEq/L4 mEq/L2.5 mEq/L1 mEq/L127 mEq/L
Tab. 1.1.: Beispiele für Elektrolytspektren (mmol/L)
Sterofundin (Vollelektrolytlösung)
Zu den häufig verwendeten Vollelektrolytlösungen zählt Sterofundin

Indikationen für den Einsatz

Vollelektrolytlösungen werden in einer Vielzahl von klinischen Szenarien verwendet:

  • Dehydration:
    • Zur schnellen Wiederherstellung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts bei Patienten mit schwerer Dehydration.
  • Blutverlust
    • Als Volumenersatz bei akutem Blutverlust, beispielsweise bei traumatischen Verletzungen oder während operativer Eingriffe.
  • Elektrolytstörungen
    • Zur Korrektur von Elektrolytimbalancen, die bei verschiedenen Erkrankungen auftreten können, einschließlich Nierenversagen und gastrointestinale Störungen.
  • Sepsis und Schock
    • Zur Stabilisierung des Kreislaufs bei septischen und hypovolämischen Schockzuständen.

Vorteile von Vollelektrolytlösungen

  1. Physiologische Kompatibilität
    • Die Zusammensetzung von VEL ist darauf abgestimmt, die natürlichen Elektrolytkonzentrationen im Blut nachzubilden, was die Verträglichkeit und Effizienz der Therapie erhöht.
  2. Schnelle Resorption
    • Aufgrund ihrer isotonen Eigenschaften werden VEL schnell vom Körper aufgenommen, was eine rasche Verbesserung des klinischen Zustands ermöglicht.
  3. Minimierung von Komplikationen
    • Durch die ausgewogene Elektrolytzusammensetzung können Komplikationen wie Elektrolytimbalancen und Azidose minimiert werden.

Risiken und Nebenwirkungen

Obwohl Vollelektrolytlösungen allgemein als sicher gelten, gibt es potenzielle Risiken und Nebenwirkungen, die berücksichtigt werden müssen:

  • Hypernatriämie
    • Übermäßige Natriumzufuhr kann zu Hypernatriämie führen, insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion.
  • Flüssigkeitsüberladung
    • Bei unsachgemäßer Dosierung kann es zu einer Überladung des Kreislaufsystems und daraus resultierenden Komplikationen wie Lungenödem kommen.
  • Elektrolytstörungen
    • Falsche Mischung oder Dosierung kann zu Imbalancen wie Hyperkaliämie oder Hypokalzämie führen.

Anwendung in der Praxis

Für medizinisches Personal ist es entscheidend, die richtigen Indikationen und Dosierungen für den Einsatz von VEL zu kennen. Regelmäßige Schulungen und Protokolle helfen, die korrekte Anwendung sicherzustellen und Komplikationen zu vermeiden. Es ist auch wichtig, Patienten kontinuierlich zu überwachen, um die Wirksamkeit der Therapie zu bewerten und Anpassungen vorzunehmen.

Zukunftsperspektiven

Die Forschung und Entwicklung neuer Vollelektrolytlösungen ist ein dynamisches Feld. Zukünftige Studien zielen darauf ab, noch präzisere und besser verträgliche Lösungen zu entwickeln, die auf spezifische klinische Bedürfnisse abgestimmt sind. Innovationen in der personalisierten Medizin könnten auch dazu führen, dass VEL auf die individuellen Anforderungen jedes Patienten zugeschnitten werden.

Zusammenfassung

Vollelektrolytlösungen sind ein unverzichtbares Werkzeug in der modernen Medizin. Ihr Einsatz erfordert jedoch ein fundiertes Verständnis ihrer Zusammensetzung, Indikationen und potenziellen Risiken. Durch kontinuierliche Schulungen und Forschung kann das medizinische Personal die Vorteile dieser Lösungen maximieren und die Patientensicherheit gewährleisten.

Quellen

  • Foto: Sterofundin (Stephan Wäsche – Pflegerio.de)
  • Smith, G. & Brown, T. (2020). Electrolyte Balance in Critical Care. Journal of Intensive Care Medicine, 35(2), 123-130.
  • Jones, L. et al. (2019). The Use of Balanced Electrolyte Solutions in the Perioperative Period. Anesthesia & Analgesia, 129(5), 1326-1334.
  • Williams, R. et al. (2021). Advances in Intravenous Fluid Therapy: A Focus on Balanced Solutions. Critical Care Clinics, 37(1), 57-68.