Bezugspflege (Primary Nursing)

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[bəˈtsuːksˌpfleːɡə]
Adjektiv:
bezugspflegerisch
Plural:
Bezugspflegen
Trennung:
Be|zugs|pfle|ge
Synonym:
Primary Nursing
Englisch:
primary nursing

Die Bezugspflege, auch als Primary Nursing bekannt, ist ein Modell der Pflege, bei dem ein einzelner Pfleger oder eine Pflegerin die Hauptverantwortung für die umfassende Betreuung eines Patienten übernimmt. Dieses Modell fördert die Kontinuität der Pflege und die Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient. Es ist besonders im Krankenhausumfeld, in Pflegeheimen und in der ambulanten Pflege verbreitet.

Bedeutung der Bezugspflege

Die Bezugspflege zielt darauf ab, eine konsistente und personalisierte Pflege zu gewährleisten. Dies geschieht durch die Zuweisung eines festen Ansprechpartners für den Patienten, der die gesamte Pflegekoordination übernimmt. Diese Methode bietet zahlreiche Vorteile:

  • Verbesserte Patientenzufriedenheit
    • Durch den kontinuierlichen Kontakt mit einem einzigen Pfleger fühlt sich der Patient besser betreut und verstanden. Dies kann das Vertrauen stärken und die Zufriedenheit erhöhen.
  • Kontinuität der Pflege
    • Der Pflegeprozess wird durch die Vermeidung häufiger Personalwechsel konsistenter. Die Pflegekraft hat ein umfassenderes Verständnis der individuellen Bedürfnisse und des Gesundheitszustands des Patienten.
  • Verbesserte Kommunikationswege
    • Eine klar definierte Bezugsperson erleichtert die Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und dem medizinischen Team.

Vorteile für das medizinische Personal

  1. Kontinuität der Pflege
    • Einer der größten Vorteile der Bezugspflege ist die Kontinuität der Versorgung. Da ein einzelner Pfleger oder eine Pflegerin die Hauptverantwortung für den Patienten übernimmt, wird eine gleichbleibende und konsistente Pflege gewährleistet. Dies führt zu einer besseren Überwachung des Gesundheitszustandes und frühzeitigen Erkennung von Veränderungen oder Problemen.
  2. Persönliche Beziehung
    • Die Bezugspflege fördert eine tiefere und vertrauensvollere Beziehung zwischen Pflegekraft und Patienten. Durch regelmäßige Interaktion entwickelt die Pflegekraft ein umfassendes Verständnis für die individuellen Bedürfnisse, Vorlieben und Bedenken des Patienten. Dies führt zu einer höheren Zufriedenheit auf beiden Seiten und kann die Genesung und das Wohlbefinden des Patienten positiv beeinflussen.
  3. Verbesserung der Kommunikation
    • Da die Pflegekraft als Hauptansprechpartner fungiert, wird die Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und dem medizinischen Team verbessert. Informationen werden klarer und schneller weitergegeben, was die Koordination der Pflege erleichtert und Fehler oder Missverständnisse reduziert.
  4. Erhöhte Patientenzufriedenheit
    • Patienten fühlen sich durch die kontinuierliche Betreuung und persönliche Beziehung besser betreut und verstanden. Dies führt zu einer höheren Zufriedenheit mit der Pflege und kann das Vertrauen in das Gesundheitssystem stärken. Patienten sind eher bereit, an ihrer Behandlung mitzuwirken und Therapieempfehlungen zu folgen.
  5. Professionalität und Verantwortungsbewusstsein
    • Für Pflegekräfte bedeutet die Bezugspflege ein höheres Maß an Professionalität und Verantwortungsbewusstsein. Sie sind für die gesamte Pflege eines Patienten verantwortlich, was zu einer tieferen beruflichen Erfüllung und einem größeren Engagement führt. Dies kann auch die Motivation und Zufriedenheit im Beruf steigern.
  6. Verbesserte Pflegequalität
    • Durch die enge und kontinuierliche Betreuung kann die Pflegekraft individuelle Pflegepläne entwickeln und anpassen, die genau auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten sind. Dies führt zu einer höheren Pflegequalität und besseren gesundheitlichen Ergebnissen.
  7. Prävention und frühzeitige Intervention
    • Die kontinuierliche Überwachung und das tiefere Verständnis des Gesundheitszustandes des Patienten ermöglichen es der Pflegekraft, präventive Maßnahmen zu ergreifen und frühzeitig auf gesundheitliche Veränderungen zu reagieren. Dies kann Komplikationen verhindern und den Gesundheitsverlauf positiv beeinflussen.
  8. Unterstützung für Angehörige
    • Die Bezugspflege bietet auch den Angehörigen des Patienten eine klare Ansprechperson. Dies erleichtert den Austausch von Informationen und bietet den Angehörigen Sicherheit und Unterstützung. Sie wissen, an wen sie sich bei Fragen oder Problemen wenden können, und fühlen sich in den Pflegeprozess eingebunden.
  9. Förderung der Selbstständigkeit des Patienten
    • Durch die individuelle Betreuung und gezielte Schulung können Pflegekräfte Patienten dabei unterstützen, ihre Selbstständigkeit zu erhalten oder wiederzuerlangen. Dies ist besonders wichtig für chronisch kranke oder ältere Menschen, die dadurch eine bessere Lebensqualität erreichen können.
  10. Effizientere Ressourcennutzung
    • Durch die klare Zuständigkeit und Verantwortlichkeit innerhalb der Bezugspflege können Ressourcen effizienter genutzt werden. Die Pflegekraft kennt den Patienten gut und kann Pflegeinterventionen gezielt und bedarfsgerecht planen und durchführen. Dies reduziert Doppelarbeit und spart Zeit und Kosten.
Bezugspflege (Primary-Nursing)
Die Bezugspflege fördert eine tiefere und vertrauensvollere Beziehung zwischen Pflegekraft und Patienten

Herausforderungen und Nachteile

Trotz der vielen Vorteile bringt die Bezugspflege auch Herausforderungen mit sich:

  • Personalmangel
    • Ein signifikanter Nachteil der Bezugspflege ist der hohe Personalbedarf. Da eine kontinuierliche Betreuung durch eine feste Bezugsperson angestrebt wird, erfordert dieses Modell eine ausreichende Anzahl an Pflegekräften. In vielen Einrichtungen besteht jedoch ein chronischer Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. Dies kann zu Überlastung des bestehenden Personals und Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Bezugspflegemodells führen.
  • Hohe Arbeitsbelastung
    • Pflegekräfte, die in der Bezugspflege arbeiten, tragen eine große Verantwortung für ihre Patienten. Dies kann zu einer erhöhten Arbeitsbelastung und Stress führen, besonders wenn sie mehrere Patienten betreuen müssen. Die intensive emotionale und physische Anforderung kann das Risiko für Burnout erhöhen.
  • Schwierigkeiten bei der Kontinuität
    • Die Bezugspflege erfordert eine kontinuierliche Betreuung durch dieselbe Pflegekraft. Bei Krankheit, Urlaub oder anderen Abwesenheiten der Bezugsperson kann die Kontinuität der Pflege gefährdet sein. Dies kann zu Frustrationen bei den Patienten und zu Unterbrechungen in der Pflege führen.
  • Hohe administrative Anforderungen
    • Die Bezugspflege erfordert eine detaillierte Dokumentation und sorgfältige Pflegeplanung. Der administrative Aufwand ist deutlich höher als bei anderen Pflegemodellen. Pflegekräfte müssen nicht nur die Pflege durchführen, sondern auch umfangreiche Aufzeichnungen führen, um die Kontinuität und Qualität der Pflege zu gewährleisten.
  • Abhängigkeit von der Bezugsperson
    • Patienten können eine starke emotionale Abhängigkeit von ihrer Bezugsperson entwickeln. Dies kann problematisch sein, wenn die Bezugsperson nicht verfügbar ist oder das Pflegeverhältnis aus irgendeinem Grund beendet wird. Die Patienten können sich verlassen fühlen, was ihre Genesung und ihr Wohlbefinden beeinträchtigen kann.
  • Eingeschränkte Flexibilität
    • Das Modell der Bezugspflege erfordert, dass die Pflegekräfte ihre Arbeitszeiten und -pläne an die Bedürfnisse ihrer Patienten anpassen. Dies kann die Flexibilität einschränken und zu Konflikten mit persönlichen oder familiären Verpflichtungen der Pflegekräfte führen.
  • Herausforderungen bei der Teamarbeit
    • Während die Bezugspflege die Verantwortung auf eine einzelne Pflegekraft konzentriert, kann dies die Teamarbeit innerhalb des Pflegeteams erschweren. Es besteht das Risiko, dass Informationen nicht effektiv geteilt werden und dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Pflegekräften und Fachbereichen leidet.
  • Kostenfaktor
    • Die Implementierung der Bezugspflege kann mit höheren Kosten verbunden sein. Zusätzlicher Personalbedarf, Schulungen und erhöhter administrativer Aufwand können die finanziellen Ressourcen einer Einrichtung belasten. Dies kann insbesondere in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit begrenztem Budget eine Herausforderung darstellen.

Implementierung der Bezugspflege

Die erfolgreiche Implementierung der Bezugspflege erfordert sorgfältige Planung und Schulung. Hier sind einige Schritte, die bei der Einführung dieses Modells beachtet werden sollten:

  • Schulung und Weiterbildung
    • Pflegekräfte sollten umfassend in den Prinzipien und Praktiken der Bezugspflege geschult werden. Dies umfasst sowohl technische Fähigkeiten als auch kommunikative und emotionale Kompetenzen.
  • Teamarbeit und Kommunikation
    • Eine gute Zusammenarbeit und Kommunikation innerhalb des Pflegeteams sind entscheidend. Regelmäßige Besprechungen und ein klarer Informationsaustausch unterstützen die Kontinuität der Pflege.
  • Ressourcenmanagement
    • Es ist wichtig, dass ausreichende personelle und materielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um eine qualitativ hochwertige Pflege zu gewährleisten. Dies umfasst auch die Bereitstellung von Unterstützungssystemen für Pflegekräfte, um Burnout zu vermeiden.
  • Patienten- und Familienbeteiligung
    • Die Einbeziehung von Patienten und deren Familien in den Pflegeprozess ist essenziell. Dies fördert die Akzeptanz und das Verständnis für das Bezugspflegemodell.

Fallbeispiel zur Bezugspflege

Hintergrund

Herr Müller, ein 68-jähriger Rentner, wurde aufgrund einer chronischen Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert. Neben seiner Hauptdiagnose leidet er an Diabetes mellitus Typ 2 und Arthrose in den Kniegelenken. Herr Müller lebt allein und hat keine nahe Familie, die ihn regelmäßig besuchen kann.

Einführung der Bezugspflege

Frau Schmidt, eine erfahrene Krankenpflegerin, wird als Bezugspflegerin für Herrn Müller zugewiesen. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Kontinuität und Qualität der Pflege sicherzustellen und als Hauptansprechpartner für Herrn Müller zu fungieren.

Erste Begegnung

Am ersten Tag nimmt Frau Schmidt ein ausführliches Anamnesegespräch mit Herrn Müller auf. Sie sammelt Informationen über seine medizinische Vorgeschichte, aktuelle Beschwerden, Medikamente und seine täglichen Gewohnheiten. Herr Müller äußert seine Sorge über seine zunehmende Unabhängigkeit und seine Angst vor der Zukunft.

Pflegeplanung

Basierend auf den gesammelten Informationen erstellt Frau Schmidt einen individuellen Pflegeplan. Dieser umfasst:

Medizinische Versorgung

  • Überwachung der Herzfunktion und Blutzuckerwerte.
  • Anpassen der Medikation in Absprache mit dem behandelnden Arzt.
  • Regelmäßige Schmerztherapie zur Linderung der Arthrose-Beschwerden.

Ernährungsberatung

  • Erstellung eines diabetikerfreundlichen Ernährungsplans.
  • Schulung zur Selbstkontrolle des Blutzuckers.

Mobilitätsförderung

  • Gezielte Physiotherapie zur Verbesserung der Beweglichkeit und Schmerzreduktion.
  • Hilfsmittelberatung für den Alltag (z.B. Gehstock, orthopädische Schuhe).

Psychosoziale Unterstützung

  • Regelmäßige Gespräche, um emotionale Unterstützung zu bieten und Ängste zu besprechen.
  • Organisation von sozialen Aktivitäten innerhalb des Krankenhauses.

Kontinuierliche Betreuung

Während seines Krankenhausaufenthalts führt Frau Schmidt regelmäßige Gespräche und Untersuchungen durch, um den Gesundheitszustand von Herrn Müller zu überwachen und den Pflegeplan bei Bedarf anzupassen. Sie dokumentiert alle Veränderungen und kommuniziert regelmäßig mit dem restlichen medizinischen Team.

Entlassungsvorbereitung

Da Herr Müllers Gesundheitszustand sich stabilisiert, bereitet Frau Schmidt seine Entlassung vor. Sie organisiert eine Nachsorge bei einem ambulanten Pflegedienst und stellt sicher, dass alle notwendigen Hilfsmittel und Medikamente bereitstehen. Zudem plant sie einen Hausbesuch, um die Wohnverhältnisse zu überprüfen und mögliche Gefahrenquellen zu identifizieren.

Nachsorge

Nach der Entlassung bleibt Frau Schmidt für eine Weile die Hauptansprechperson für Herrn Müller und den ambulanten Pflegedienst. Sie überprüft regelmäßig den Fortschritt und stellt sicher, dass der Pflegeplan weiterhin umgesetzt wird. Bei Bedarf passt sie diesen in Absprache mit Herrn Müller und den beteiligten Fachkräften an.

Ergebnis

Dank der kontinuierlichen und personalisierten Betreuung durch Frau Schmidt zeigt Herr Müller deutliche Fortschritte. Seine Herzinsuffizienz ist unter Kontrolle, und er kann seinen Blutzucker selbstständig überwachen. Durch die regelmäßige Physiotherapie hat sich seine Beweglichkeit verbessert, und er berichtet von einer deutlichen Schmerzreduktion. Emotionale Unterstützung und soziale Aktivitäten haben ihm geholfen, seine Ängste zu mindern und eine positive Einstellung zu bewahren.

Zusammenfassung

Die Bezugspflege bietet eine vielversprechende Methode zur Verbesserung der Patientenzufriedenheit und der Qualität der Pflege. Durch die Etablierung einer festen Bezugsperson wird die Kontinuität der Pflege erhöht und die Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient gestärkt. Trotz der Herausforderungen wie Personalmangel und Burnout-Risiko kann die Bezugspflege bei sorgfältiger Planung und ausreichender Unterstützung erfolgreich implementiert werden. Für medizinisches Personal bietet dieses Modell nicht nur die Möglichkeit, ihre beruflichen Fähigkeiten zu erweitern, sondern auch eine tiefere und erfüllendere Arbeitserfahrung.

Quellen

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