Ärztlicher Bereitschaftsdienst (ÄBD)

Wortart:
Substantiv, maskulin
Aussprache (IPA):
[ˈɛːɐ̯t͡s tlɪçɐ bəˈʁaɪ̯tʃaft͡sdiːnst]
Plural:
Ärztlicher Bereitschaftsdienste
Abkürzung:
ÄBD
Trennung:
Ärzt|li|cher | Be|reit|schafts|dienst
Synonym:
116117
Englisch:
medical on-call service

Der ärztliche Bereitschaftsdienst (ÄBD), auch ärztlicher Notdienst, ist eine zentrale Institution im deutschen Gesundheitswesen, die eine kontinuierliche medizinische Versorgung außerhalb der regulären Sprechzeiten von niedergelassenen Ärzten gewährleistet. Diese Dienstleistung spielt eine entscheidende Rolle, um sicherzustellen, dass Patienten auch zu Zeiten, in denen Hausarztpraxen geschlossen sind, Zugang zu medizinischer Hilfe haben. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist insbesondere in Deutschland flächendeckend organisiert und trägt dazu bei, die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten und eine Überlastung des Notfallsystems zu verhindern.

Historische Entwicklung und Hintergrund

Die Idee des ärztlichen Bereitschaftsdienstes geht auf die Erkenntnis zurück, dass gesundheitliche Probleme nicht nur während der üblichen Sprechzeiten auftreten. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden erste Strukturen geschaffen, um sicherzustellen, dass Patienten auch abends, nachts, an Wochenenden und Feiertagen medizinische Hilfe erhalten können. Anfangs waren diese Dienste oft unorganisiert und von einzelnen Ärzten oder kleinen Gruppen abgedeckt. Im Laufe der Zeit, insbesondere nach Gründung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in den 1950er Jahren, wurden die Dienste zunehmend formalisiert und strukturiert.

Organisation und Struktur

Der ärztliche Bereitschaftsdienst wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen der jeweiligen Bundesländer organisiert. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und für die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland verantwortlich. Sie koordinieren den Bereitschaftsdienst und stellen sicher, dass in jeder Region ausreichend Ärzte verfügbar sind, um den Dienst abzudecken.

Zentrale Rufnummer 116 117

116117 - Ärztlicher Bereitschaftsdienst

Eine der größten Innovationen in den letzten Jahren war die Einführung der bundesweit einheitlichen Rufnummer 116 117 im Jahr 2012. Diese Rufnummer ermöglicht es Patienten, unabhängig von ihrem Standort in Deutschland, schnell und einfach den nächstgelegenen ärztlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen. Das System hinter dieser Rufnummer ist so gestaltet, dass Anrufe automatisch zur nächstgelegenen Bereitschaftsdienstzentrale weitergeleitet werden, wo geschultes Personal die Situation einschätzt und entsprechende Maßnahmen ergreift.

Unterschied zwischen Notfallversorgung und Bereitschaftsdienst

Ein häufiges Missverständnis besteht darin, den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit der Notfallversorgung zu verwechseln. Während beide Systeme darauf abzielen, Patienten in dringenden Situationen zu helfen, unterscheiden sie sich in ihrer Zielsetzung und ihrem Aufgabenbereich.

  • Notfallversorgung (Notdienst)
    • Diese ist für lebensbedrohliche und akut schwerwiegende Erkrankungen oder Verletzungen zuständig, bei denen ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist. Typische Beispiele sind Herzinfarkte, Schlaganfälle, schwere Unfälle oder starke Blutungen. In solchen Fällen ist der Notruf 112 zu wählen, der Rettungsdienst und Notarzt mobilisiert.
  • Ärztlicher Bereitschaftsdienst
    • Dieser Dienst hingegen deckt die Fälle ab, die zwar akut, aber nicht lebensbedrohlich sind und daher keine sofortige Notfallbehandlung benötigen. Beispiele hierfür sind fiebrige Infekte, leichte Verletzungen, Schmerzen, die nicht bis zur nächsten regulären Sprechstunde warten können, oder akute Verschlechterungen chronischer Erkrankungen.

Funktionsweise des Bereitschaftsdienstes

Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist regional unterschiedlich organisiert, was bedeutet, dass die Art der angebotenen Dienste variieren kann. Es gibt verschiedene Modelle, wie der Dienst umgesetzt wird:

  • Bereitschaftsdienstpraxen
    • In vielen Regionen gibt es sogenannte Bereitschaftsdienstpraxen oder -zentralen, die in oder nahe bei Krankenhäusern angesiedelt sind. Diese Praxen sind zu den Zeiten geöffnet, in denen normale Hausarztpraxen geschlossen sind, und bieten eine umfassende Versorgung durch Allgemeinmediziner und in manchen Fällen auch durch Fachärzte.
  • Hausbesuchsdienste
    • In ländlichen oder weitläufigen Gebieten, wo der Zugang zu einer Bereitschaftsdienstpraxis schwierig sein könnte, bieten Ärzte Hausbesuche an. Nach einem Anruf bei der 116 117 kann ein Arzt direkt zum Patienten nach Hause geschickt werden, um die notwendige medizinische Betreuung vor Ort zu leisten.
  • Mobile Teams
    • In manchen Regionen arbeiten mobile Teams, die speziell ausgerüstet sind, um eine medizinische Grundversorgung bei Hausbesuchen zu leisten. Diese Teams bestehen oft aus einem Arzt und einem Rettungssanitäter, die gemeinsam Patienten versorgen, die nicht selbstständig zur Praxis kommen können.

Aufgaben und Leistungsspektrum

Das Leistungsspektrum des ärztlichen Bereitschaftsdienstes ist breit gefächert und umfasst alle medizinischen Dienstleistungen, die typischerweise in einer Hausarztpraxis erbracht werden, jedoch nicht in den Bereich der Notfallmedizin fallen. Zu den häufigsten Leistungen gehören:

  • Diagnostik und Therapie akuter Erkrankungen
    • Behandlung von plötzlichen, nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen wie z.B. grippale Infekte, Bronchitis, Magen-Darm-Erkrankungen, psychischen Erkrankungen oder Harnwegsinfektionen.
  • Schmerzbehandlung
    • Akute Schmerztherapie bei Zuständen wie Migräne, Zahnschmerzen, Rückenschmerzen oder Gelenkschmerzen.
  • Versorgung leichter Verletzungen
    • Behandlung von kleineren Verletzungen, die keiner chirurgischen Notfallversorgung bedürfen, wie Schnittwunden, Verstauchungen oder Prellungen.
  • Akutversorgung chronischer Erkrankungen
    • Unterstützung bei akuten Verschlechterungen chronischer Krankheiten wie Asthma, Diabetes oder Bluthochdruck.
  • Verschreibung von Medikamenten
    • Ausstellung von Rezepten, wenn eine dringende Medikation erforderlich ist und nicht bis zum nächsten regulären Arzttermin gewartet werden kann.

Herausforderungen und Kritik

Trotz der vielen Vorteile des ärztlichen Bereitschaftsdienstes gibt es auch Herausforderungen und Kritikpunkte, die immer wieder diskutiert werden.

Arbeitsbelastung und Personalmangel

Ein häufiges Problem ist die hohe Arbeitsbelastung der Ärzte, die im Bereitschaftsdienst tätig sind. Diese Ärzte müssen oft lange und unregelmäßige Schichten arbeiten, was zu Ermüdung und Erschöpfung führen kann. In ländlichen Gebieten verschärft sich das Problem häufig durch einen Mangel an Ärzten, die bereit oder in der Lage sind, den Dienst zu übernehmen. Dies kann dazu führen, dass Patienten längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen oder weitere Wege zurücklegen müssen, um ärztliche Hilfe zu erhalten.

Finanzierung und Kostendruck

Die Finanzierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes erfolgt hauptsächlich über die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gibt jedoch immer wieder Diskussionen über die Höhe der Vergütung und die Frage, ob diese ausreichend ist, um die Bereitschaft der Ärzte zu sichern, insbesondere in unterversorgten Regionen. Der Kostendruck im Gesundheitssystem insgesamt und die Notwendigkeit, effizient zu wirtschaften, führen zu ständigen Debatten über die optimale Organisation und Finanzierung des Dienstes.

Zugänglichkeit und Öffentlichkeitsarbeit

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Bekanntheit und Zugänglichkeit des Dienstes in der Bevölkerung. Viele Patienten sind sich nicht sicher, wann sie den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Anspruch nehmen sollten und wann ein Besuch in der Notaufnahme notwendig ist. Dies führt manchmal zu einer Fehlbeanspruchung der Ressourcen und unnötigen Besuchen in den Notaufnahmen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen arbeiten daran, durch Informationskampagnen und eine bessere Öffentlichkeitsarbeit die Bekanntheit der 116 117 und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu erhöhen.

Ausblick und zukünftige Entwicklungen

In den kommenden Jahren wird der ärztliche Bereitschaftsdienst vor mehreren Herausforderungen stehen. Dazu gehört die Anpassung an die demografischen Veränderungen in Deutschland, insbesondere in Bezug auf die alternde Bevölkerung und die damit verbundene Zunahme chronischer Erkrankungen. Zudem wird die Digitalisierung eine immer größere Rolle spielen, sowohl in der Koordination des Dienstes als auch in der Patientenversorgung.

Es gibt bereits Modelle, bei denen Telemedizin eingesetzt wird, um Patienten im Bereitschaftsdienst zu versorgen. Dies könnte in Zukunft ausgebaut werden, um die Versorgung insbesondere in ländlichen und schwer erreichbaren Gebieten zu verbessern. Auch die stärkere Einbindung von nicht-ärztlichem Fachpersonal, wie speziell geschulte Pflegekräfte, könnte eine Möglichkeit sein, die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Zusammenfassung

Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist eine unverzichtbare Säule des deutschen Gesundheitswesens, die eine flächendeckende und zeitlich flexible medizinische Versorgung sicherstellt. Er ist ein wichtiger Bestandteil der ambulanten Versorgung, der durch seine Struktur eine Entlastung der Notaufnahmen ermöglicht und den Bürgern auch außerhalb der regulären Praxiszeiten Zugang zu medizinischer Hilfe bietet. Gleichzeitig steht das System vor erheblichen Herausforderungen, die innovative Ansätze und möglicherweise Reformen erfordern, um seine Funktionalität und Effizienz auch in Zukunft zu gewährleisten.

Quellen

  • „Der Patientenservice (ärztlicher Notdienst) | 116117.de“ (ohne Datum). Verfügbar unter: https://www.116117.de (Zugegriffen: 30. August 2024).
  • „116117 – die Nummer des Bereitschaftsdienst“ (ohne Datum). Verfügbar unter: https://www.kbv.de/html/37369.php (Zugegriffen: 30. August 2024).