Gyri und Sulci: Anatomie, Funktion, Pathologie

Synonym:
Hirnfurche, Gehirnfurche, Hirnwindung, Gehirnwindung
Englisch:
cerebral gyrus, cerebral sulcus
Aussprache (IPA):
ɡyːʁʊs] [sʌlkəs

Gyri (Einzahl: Gyrus) und Sulci (Einzahl: Sulcus) sind Begriffe, die die Falten und Rillen der Hirnrinde (Cortex cerebri) beschreiben. Diese Strukturen erhöhen die Oberfläche des Gehirns und ermöglichen eine höhere Anzahl von Neuronen und somit eine größere Kapazität für kognitive Funktionen. Ein tiefes Verständnis dieser anatomischen Merkmale ist entscheidend für medizinisches Personal, um neurologische Diagnosen und Behandlungen präzise zu gestalten.

Anatomie und Funktion

Gyri

  • Gyri sind die erhöhten Windungen oder Falten auf der Oberfläche des Gehirns.
  • Sie enthalten die graue Substanz, die aus neuronalen Zellkörpern besteht und für die Verarbeitung und Integration von Informationen verantwortlich ist.
  • Wichtige Gyri umfassen:
    • Gyrus präcentralis (Motorcortex)
      ➜ Verantwortlich für die Planung, Kontrolle und Ausführung freiwilliger Bewegungen.
    • Gyrus postcentralis (Sensorcortex)
      ➜ Ort der primären somatosensorischen Verarbeitung.
    • Gyrus temporalis superior
      ➜ Beteiligt an der Verarbeitung von auditorischen Informationen und Sprache.
    • Gyrus cinguli
      ➜ Spielt eine Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und Verhalten.

Sulci

  • Sulci sind die Rillen oder Furchen, die die Gyri voneinander trennen.
  • Sie erhöhen die Oberflächenfläche des Gehirns und tragen zur räumlichen Organisation der Hirnrinde bei.
  • Wichtige Sulci umfassen:
    • Sulcus centralis
      ➜ Trennt den Frontal- und Parietallappen und markiert die Grenze zwischen Motor- und Sensorcortex.
    • Sulcus lateralis (Sylvische Fissur)
      ➜ Trennt den Temporallappen vom Frontal- und Parietallappen.
    • Sulcus parieto-occipitalis
      ➜ Trennt den Parietallappen vom Okzipitallappen.
    • Sulcus calcarinus
      ➜ Liegt im Okzipitallappen und enthält den primären visuellen Cortex.

Klinische Bedeutung

Neurologische Untersuchung

  • Das Verständnis der Lage und Funktion der Gyri und Sulci ist für die neurologische Untersuchung und die Interpretation von Befunden entscheidend.
  • Läsionen oder Anomalien in spezifischen Gyri oder Sulci können zu charakteristischen neurologischen Ausfällen führen.

Bildgebende Verfahren

  • Techniken wie MRT und CT liefern detaillierte Bilder der Gyri und Sulci und helfen bei der Diagnose von strukturellen Anomalien, Tumoren, Infarkten und anderen pathologischen Zuständen.
  • Funktionelle Bildgebung (fMRT, PET) ermöglicht die Untersuchung der Aktivität bestimmter Hirnregionen und deren Rolle in kognitiven Prozessen.

Neurochirurgie

  • Ein präzises Wissen über die topographische Anatomie der Gyri und Sulci ist für neurochirurgische Eingriffe unerlässlich, um funktionell wichtige Hirnareale zu schonen und postoperative Komplikationen zu minimieren.

Entwicklungsstörungen

  • Anomalien in der Entwicklung der Gyri und Sulci, wie Lissenzephalie (glattes Gehirn) oder Polymikrogyrie (abnorm kleine und zahlreiche Gyri), sind mit schweren neurologischen und kognitiven Beeinträchtigungen verbunden.

Funktionelle Bereiche und ihre Zuordnung

Frontaler Cortex

  • Präfrontaler Cortex
    ➜ Höhere kognitive Funktionen wie Planung, Entscheidungsfindung und soziale Verhalten.
  • Gyrus präcentralis
    ➜ Primärmotorischer Cortex, Kontrolle über freiwillige Bewegungen.

Parietaler Cortex

  • Gyrus postcentralis
    ➜ Primärsomatosensorischer Cortex, Verarbeitung sensorischer Informationen aus dem Körper.
  • Assoziationsbereiche
    ➜ Integration sensorischer Daten und räumliche Orientierung.

Temporaler Cortex

  • Gyrus temporalis superior
    ➜ Verarbeitung auditorischer Signale und Sprachverstehen.
  • Medialer Temporallappen
    ➜ Gedächtnisbildung und -abruf (einschließlich Hippocampus).

Okzipitaler Cortex

  • Sulcus calcarinus
    ➜ Primärvisueller Cortex, Verarbeitung visueller Informationen.

Diagnostische und therapeutische Implikationen

Diagnose neurologischer Erkrankungen

  • Störungen der Gyri und Sulci können Hinweise auf spezifische neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Alzheimer-Krankheit, Schlaganfall oder Multiple Sklerose geben.
  • Bildgebende Verfahren sind entscheidend, um strukturelle Veränderungen zu erkennen und die Diagnose zu bestätigen.

Rehabilitation

  • Wissen über die funktionelle Zuordnung der Gyri und Sulci hilft bei der Entwicklung gezielter Rehabilitationsprogramme nach Hirnverletzungen oder Schlaganfällen.
  • Neuroplastizität und die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen und zu reorganisieren, können durch therapeutische Maßnahmen unterstützt werden.

Präoperative Planung

  • Vor neurochirurgischen Eingriffen ist eine genaue Kartierung der Gyri und Sulci erforderlich, um funktionell kritische Bereiche zu identifizieren und zu schonen.

Zusammenfassung

Gyri und Sulci sind wichtige Strukturen im Gehirn. Gyri (Singular: Gyrus) sind die aufgewölbten Windungen der Hirnrinde, die durch Faltenbildung entstehen. Sie erhöhen die Oberfläche des Gehirns und ermöglichen mehr Platz für neuronale Verbindungen. Sulci (Singular: Sulcus) sind die Vertiefungen oder Furchen zwischen den Gyri. Diese Einteilungen vergrößern die Gesamtoberfläche der Hirnrinde und spielen eine wichtige Rolle bei der funktionellen Organisation des Gehirns. Beide Strukturen tragen wesentlich zur komplexen Verarbeitung und Speicherung von Informationen im Gehirn bei.

Quellen

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