Limbisches System: Anatomie, Funktion, Pathologie

Synonym:
Limbischer Lappen, Lobus limbicus, Saumlappen
Latein:
limbus = Saum
Englisch:
limbic system
Funktion:
Regulation von Emotionen, Motivation, Aufmerksamkeit (Bewußtsein), Assoziationen und Gedächtnis
Aussprache (IPA):
lɪmbɪʃəzʏsˈteːm

Das limbische System ist ein komplexes Netzwerk von Strukturen im Gehirn, das eine zentrale Rolle bei der Regulation von Emotionen, Gedächtnis und Verhaltensweisen spielt. Aufgrund seiner vielfältigen Funktionen und seiner Bedeutung für das Verständnis vieler neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen ist das limbische System ein zentrales Thema in der medizinischen Forschung und Praxis.

Anatomie des Limbischen Systems

Das limbische System besteht aus mehreren miteinander verbundenen Strukturen, die sich hauptsächlich im medialen Bereich des Gehirns befinden. Zu den wichtigsten Komponenten gehören:

Hippocampus

  • Lage
    ➜ im medialen Temporallappen, windet sich wie ein Seepferdchen (wissenschaftlicher Name = Hippocampus).
  • Funktion
    ➜ essenziell für die Bildung und den Abruf von Langzeitgedächtnis, insbesondere deklarativen (faktenbasierten) und räumlichen Gedächtnis

Amygdala

  • Lage
    ➜ Anterior zum Hippocampus im Temporallappen
  • Funktion
    ➜ Zentral für die emotionale Verarbeitung, insbesondere für Angst und Aggression. Spielt eine Rolle bei der emotionalen Gedächtnisbildung

Gyrus cinguli (Cingulärer Cortex)

  • Lage
    ➜ Über dem Corpus callosum.
  • Funktion
    ➜ beteiligt an der Regulation von Emotionen, Verhaltensanpassung, Motivation und Schmerzverarbeitung

Fornix

  • Lage
    ➜ ein bogenförmiges Fasersystem, das den Hippocampus mit dem Hypothalamus verbindet
  • Funktion
    ➜ wichtige Bahn für die Signalübertragung innerhalb des limbischen Systems

Hypothalamus

  • Lage
    ➜ unterhalb des Thalamus
  • Funktion
    ➜ reguliert autonome und endokrine Funktionen, einschließlich Hunger, Durst, Körpertemperatur und circadianer Rhythmen. Spielt eine Rolle bei emotionalen Reaktionen

Mamillarkörper

  • Lage
    ➜ Teil des Hypothalamus, verbunden mit dem Hippocampus über den Fornix
  • Funktion
    ➜ beteiligt an der Gedächtniskonsolidierung

Septum pellucidum und Septalregion

  • Lage
    ➜ zwischen den lateralen Ventrikeln und dem Corpus callosum
  • Funktion
    ➜ Beteiligt an der Regulation von Belohnung und Verstärkung

Parahippocampaler Gyrus

  • Lage
    ➜ in der Nähe des Hippocampus im Temporallappen
  • Funktion
    ➜ Beteiligung an der Gedächtnisbildung und -abruf
Anatomie des Limbischen Systems
Abb. 1.1: Anatomie: Limbisches System

Funktionen des Limbischen Systems

Das limbische System integriert Informationen und vermittelt Reaktionen, die für das Überleben und das Wohlbefinden entscheidend sind. Zu den Hauptfunktionen gehören:

  • Emotionale Verarbeitung
    • Die Amygdala ist entscheidend für die Verarbeitung und Interpretation von emotionalen Reizen, insbesondere von Bedrohungen. Sie spielt auch eine Rolle bei der Konditionierung von Angst
  • Gedächtnisbildung und -abruf
    • Der Hippocampus ist entscheidend für die Bildung neuer Erinnerungen und den Abruf von Langzeiterinnerungen. Er ist besonders wichtig für das räumliche Gedächtnis und das kontextuelle Lernen
  • Verhaltenssteuerung und Motivation
    • Der Gyrus cinguli und der Hypothalamus sind an der Steuerung von motiviertem Verhalten und der Anpassung an Umweltveränderungen beteiligt. Der Hypothalamus reguliert auch Belohnungs- und Verstärkungsmechanismen
  • Autonome und endokrine Regulation
    • Der Hypothalamus steuert viele autonome Funktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur und Verdauung. Er reguliert auch die Freisetzung von Hormonen aus der Hypophyse

Klinische Relevanz

Erkrankungen und Störungen des Limbischen Systems

  • Epilepsie
    ➜ Temporallappenepilepsie kann durch Anomalien im Hippocampus verursacht werden. Patienten erleben häufig komplexe partielle Anfälle mit ausgeprägten emotionalen und Gedächtnisveränderungen
  • Angststörungen
    ➜ Überaktivität der Amygdala wird mit verschiedenen Angststörungen, einschließlich Panikstörung, generalisierter Angststörung und Phobien, in Verbindung gebracht
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    ➜ Dysfunktion im limbischen System, insbesondere in der Amygdala und dem Hippocampus, spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von PTBS
  • Depression
    ➜ abnormale Aktivität im Gyrus cinguli und im Hypothalamus ist mit depressiven Zuständen assoziiert. Veränderungen im limbischen System können die emotionale Verarbeitung und die Stressreaktion beeinflussen
  • Schizophrenie
    ➜ Dysfunktionale Verbindungen im limbischen System, einschließlich des Hippocampus und der Amygdala, tragen zur Pathophysiologie der Schizophrenie bei und beeinflussen Gedächtnis, Emotionen und Motivation
  • Alzheimer-Krankheit
    ➜ Der Hippocampus ist eine der ersten Strukturen, die bei Alzheimer betroffen sind. Dies führt zu schweren Gedächtnisstörungen und kognitivem Verfall

Diagnostik und Therapie

  • Bildgebende Verfahren
    ➜ MRT (Magnetresonanztomographie) und PET (Positronen-Emissions-Tomographie) werden verwendet, um strukturelle und funktionelle Anomalien im limbischen System zu identifizieren
  • Neuropsychologische Tests
    ➜ spezifische Tests können Gedächtnis, emotionale Reaktionen und Verhaltensänderungen bewerten, um limbische Dysfunktionen zu diagnostizieren
  • Medikamentöse Therapie
    ➜ Antidepressiva, Anxiolytika und Antipsychotika können verwendet werden, um Dysfunktionen im limbischen System zu behandeln. Diese Medikamente zielen auf neurochemische Ungleichgewichte ab, die mit limbischen Störungen verbunden sind
  • Psychotherapie
    ➜ Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und andere Formen der Psychotherapie können helfen, emotionale und verhaltensbezogene Probleme zu bewältigen, die mit limbischen Dysfunktionen verbunden sind

Entdeckung

Die Entdeckung des limbischen Systems kann auf den französischen Neurologen Paul Broca zurückgeführt werden. Im Jahr 1878 beschrieb Broca einen „großen limbischen Lappen“ („grand lobe limbique“), der die medialen Ränder des Hirnhälften umgibt. Broca betrachtete diesen Bereich als eine eigenständige Einheit des Gehirns und benannte ihn nach dem lateinischen Wort „limbus“ für Rand oder Saum, aufgrund seiner randartigen Lage um das Corpus callosum und den Hirnstamm.

Zusammenfassung

Das limbische System ist eine Gruppe von Strukturen im Gehirn, die für Emotionen, Gedächtnis und Verhalten zuständig sind. Es umfasst den Hypothalamus, Hippocampus, die Amygdala und den Gyrus cinguli. Der Hypothalamus reguliert hormonelle Funktionen und Körperprozesse wie Hunger und Durst. Der Hippocampus spielt eine Schlüsselrolle bei der Bildung neuer Erinnerungen. Die Amygdala ist wichtig für die emotionale Verarbeitung, insbesondere für Angst und Aggression. Der Gyrus cinguli ist beteiligt an der Regulierung von Emotionen und Verhaltensreaktionen. Zusammen ermöglichen diese Strukturen komplexe emotionale und kognitive Funktionen.

Quellen

  • Faller, A., & Schünke, M. (2016). Der Körper des Menschen: Einführung in Bau und Funktion (A. Faller & M. Schünke, Hrsg.; 17. Aufl.). Thieme.
  • Haupt, W. F., & Gouzoulis-Mayfrank, E. (2016). Neurologie und Psychiatrie für Pflegeberufe (W. F. Haupt & E. Gouzoulis-Mayfrank, Hrsg.; 11. Aufl.). Thieme.
  • Menche, N. (Hrsg.). (2016). Biologie Anatomie Physiologie: Mit Zugang zu pflegeheute.de (8. Aufl.). Urban & Fischer in Elsevier.
  • Carter, R. (2019) Das Gehirn: Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. Aktualisierte Neuausgabe. München: Dorling Kindersley.
  • Amboss.com (2024) Limbisches System und Gedächtnis. Verfügbar unter: https://www.amboss.com/de/wissen/limbisches-system-und-gedachtnis/ (Zugegriffen: 4. Juli 2024).
  • Broca, P. (1878). Anatomie comparée des circonvolutions cérébrales: le grand lobe limbique et la scissure limbique dans la série des mammifères. Revue d’anthropologie, 1-34.