Niere: Anatomie, Funktion, Pathologie

Die Niere (Ren) ist ein paariges, bohnenförmiges Organe, das eine zentrale Rolle im Harnsystem und im Erhalt der Homöostase des menschlichen Körpers spielt. Sie ist für die Filtration des Blutes, die Ausscheidung von Abfallstoffen und die Regulation von Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt verantwortlich.
Synonym:
Ren
Größe:
9 - 12 cm lang, 4 - 6 cm breit, 3 - 5 cm dick
Gewicht:
je 150 - 200 gr.
Form:
Bohnenform
Lage:
paarig, neben der Wirbelsäule auf Höhe der unteren Rippen
Latein:
ren
Griechisch:
νεφρός (nephros)
Englisch:
kidney
Funktion:
Filtration, Ausscheidung, Regulation
Aussprache (IPA):
niːʀə

Die Niere (Ren) ist ein paariges, bohnenförmiges Organe, das eine zentrale Rolle im Harnsystem und im Erhalt der Homöostase des menschlichen Körpers spielt. Sie ist für die Filtration des Blutes, die Ausscheidung von Abfallstoffen und die Regulation von Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt verantwortlich.

Makroskopische Anatomie

Lage und Größe

  • Die Niere befindet sich retroperitoneal im oberen Abdomen, beidseitig der Wirbelsäule.
  • Die rechte Niere liegt etwas tiefer als die linke Niere, da sie durch die Leber nach unten gedrückt wird.
  • Jede Niere ist etwa 9 – 12 cm lang, 4 – 6 cm breit und 3 – 5 cm dick und wiegt ungefähr 150-200 Gramm.

Äußere Struktur

  • Nierenkapsel (Capsula renalis)
    ➜ Eine feste, faserige Kapsel, die die Niere umhüllt und Schutz bietet. Die Kapsel besteht aus zwei Schichten: einer äußeren Bindegewebsschicht und einer inneren Myofibroblasten-Schicht.
  • Nierenrinde (Cortex renalis)
    ➜ Die äußere Region der Niere, die eine granulierte Erscheinung hat. Enthält die Glomeruli, proximalen und distalen Tubuli.
  • Nierenmark (Medulla renalis)
    ➜ Die innere Region, die aus pyramidenförmigen Strukturen (Markpyramiden) besteht.Die Medulla enthält die Henle-Schleifen und die Sammelrohre.

Innere Struktur

  • Nierenpyramiden (Pyramides renales)
    ➜ Kegelförmige Strukturen, die die Basis zur Nierenrinde hin und die Spitze (Papille) zum Nierenbecken hin haben. Jede Niere enthält etwa 8-18 Pyramiden.
  • Nierenlappen (Lobi renales)
    ➜ Jede Pyramide mit der umgebenden Rinde bildet einen Nierenlappen.Ein Nierenlappen besteht aus einer Pyramide und dem umgebenden Kortexgewebe.
  • Nierenkelche (Calices renales)
    • Kleine Kelche (Calices renales minores)
      ➜ Die Papillen münden in diese Kelche.
    • Große Kelche (Calices renales majores)
      ➜ Diese sammeln den Urin aus den kleinen Kelchen und leiten ihn in das Nierenbecken.
  • Nierenbecken (Pelvis renalis)
    ➜ Ein trichterförmiges Reservoir, das in den Harnleiter (Ureter) übergeht. Das Nierenbecken sammelt den Urin und transportiert ihn zum Harnleiter.
  • Harnleiter (Ureter)
    ➜ Ein etwa 25-30 cm langer Schlauch, der den Urin von den Nieren zur Harnblase transportiert.

Mikroskopische Anatomie

Nephrone

  • Die funktionelle Einheit der Niere ist das Nephron. Jede Niere enthält etwa 1 bis 1,5 Millionen Nephrone.
  • Ein Nephron besteht aus einem Glomerulus und einem Tubulussystem.
  • Eine wesentliche Komponente des Nephrons ist das Nierenkörperchen (Renal Corpuscle), das aus dem Glomerulus und der Bowman’schen Kapsel besteht.

Glomerulus

  • Glomerulus-Kapillaren
    ➜ Ein Kapillarknäuel, das aus afferenten und efferenten Arteriolen gespeist wird.
  • Bowman’sche Kapsel
    ➜ Eine doppelwandige Kapsel, die den Glomerulus umgibt. Sie besteht aus einem parietalen Blatt (äußeres Blatt) und einem viszeralen Blatt (inneres Blatt), das aus Podozyten besteht.

Tubulussystem

  • Proximaler Tubulus
    ➜ Besteht aus einem gewundenen Teil (proximaler gewundener Tubulus) und einem geraden Teil (proximaler gerader Tubulus). Hier findet die größte Reabsorption von Wasser, Ionen und Nährstoffen statt.
  • Henle-Schleife (Henle’sche Schleife)
    ➜ Besteht aus einem absteigenden dünnen Schenkel, einem aufsteigenden dünnen Schenkel und einem aufsteigenden dicken Schenkel. Sie ist für die Konzentration des Urins verantwortlich.
  • Distaler Tubulus
    ➜ Besteht aus einem geraden Teil (distaler gerader Tubulus) und einem gewundenen Teil (distaler gewundener Tubulus). Hier erfolgt die Feinabstimmung der Reabsorption und Sekretion von Ionen.
  • Sammelrohr
    ➜ Sammeln den Urin von mehreren Nephronen und leiten ihn in die Nierenpapillen weiter.

Die Henle-Schleife, oder Henle’sche Schleife, wurde nach dem deutschen Anatomen Friedrich Gustav Jacob Henle (1809-1885) benannt.

Anatomie der Niere
Abb. 1.1: Anatomie der Niere

Juxtaglomerulärer Apparat

Besteht aus spezialisierten Zellen in der Nähe des Glomerulus, die den Blutdruck und die Filtrationsrate regulieren.

  • Macula densa
    ➜ Spezialisierte Zellen im distalen Tubulus, die die Natriumkonzentration im Urin messen.
  • Juxtaglomeruläre Zellen
    ➜ Produzieren Renin, ein Hormon, das den Blutdruck reguliert.
  • Extraglomeruläre Mesangiumzellen
    ➜ Unterstützen die Kommunikation zwischen der Macula densa und den juxtaglomerulären Zellen.

Blutversorgung

Arterielle Versorgung

  • Nierenarterie (Arteria renalis)
    ➜ Jede Niere wird von einer Nierenarterie versorgt, die direkt aus der Aorta entspringt.
  • Segmentale Arterien
    ➜ Die Nierenarterie verzweigt sich in segmentale Arterien, die weiter in Zwischenlappenarterien (Arteriae interlobares) aufgeteilt werden.
  • Bogenarterien (Arteriae arcuatae)
    ➜ Diese verzweigen sich weiter in Zwischenläppchenarterien (Arteriae interlobulares), die in die afferenten Arteriolen übergehen, die das Blut zu den Glomeruli bringen.

Venöse Drainage

  • Nierenvenen (Venae renales)
    ➜ Das venöse Blut wird durch die Nierenvenen, die in die Vena cava inferior münden, abgeführt.

Funktion der Nieren

Filtration

  • Die Nieren filtern täglich etwa 150-180 Liter Blutplasma und produzieren etwa 1-2 Liter Urin.
  • Der Filtrationsprozess entfernt Abfallstoffe, überschüssige Elektrolyte und Wasser aus dem Blut.

Reabsorption

  • Etwa 99% des gefilterten Wassers und viele gelöste Stoffe wie Glukose, Aminosäuren und Elektrolyte werden im Nephron wieder in den Blutkreislauf aufgenommen.

Sekretion

  • Die Nieren sezernieren zusätzliche Abfallstoffe und überschüssige Elektrolyte direkt in den Tubulus, um den endgültigen Urin zu bilden.

Hormonproduktion

  • Erythropoetin (EPO)
    ➜ Stimuliert die Produktion von roten Blutkörperchen im Knochenmark.
  • Renin
    ➜ Reguliert den Blutdruck und den Flüssigkeitshaushalt.
  • Aktiviertes Vitamin D (Calcitriol)
    ➜ Regelt den Kalzium- und Phosphatstoffwechsel.

Klinische Relevanz

Akutes Nierenversagen (ANV)

  • Plötzlicher Verlust der Nierenfunktion aufgrund von Ischämie, Toxinen oder Infektionen.
  • Diagnostik durch Messung von Serumkreatinin und Urinausscheidung.

Chronische Nierenerkrankung (CKD)

  • Langsamer, fortschreitender Verlust der Nierenfunktion, oft durch Diabetes oder Bluthochdruck verursacht.
  • Staging anhand der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und Albuminurie.

Nephrotisches Syndrom

  • Erhöhte Proteinurie, Hypoalbuminämie und Ödeme aufgrund einer Schädigung der Glomeruli.
  • Behandlung umfasst Immunsuppressiva und Diuretika.

Nierensteine (Nephrolithiasis)

  • Kristalline Ablagerungen, die im Nierenbecken oder Harnleiter entstehen und Schmerzen verursachen.
  • Diagnostik durch Ultraschall oder CT und Behandlung durch Steinzertrümmerung oder chirurgische Entfernung.

Niereninfektion (Pyelonephritis)

  • Bakterielle Infektion der Niere, oft durch aufsteigende Infektionen aus der Blase.
  • Behandlung mit Antibiotika und unterstützenden Maßnahmen.

Polyzystische Nierenerkrankung (PKD)

  • Genetisch bedingte Erkrankung, bei der sich zahlreiche Zysten in den Nieren bilden.
  • Diagnostik durch Ultraschall, CT, MRT, genetische Tests.
  • Behandlung: Blutdruckkontrolle, Schmerzmanagement, Dialyse, Nierentransplantation.

Diagnostik der Niere

Die Untersuchung der Nieren ist entscheidend für die Diagnose und die Behandlung von Nierenerkrankungen. Verschiedene diagnostische Methoden werden verwendet, um die Funktion, Struktur und Pathologie der Nieren zu beurteilen.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Anamnese

  • Symptome
    ➜ Schmerzen in der Flanke, Hämaturie, Dysurie, Polyurie, Nykturie, Ödeme, Müdigkeit.
  • Vorgeschichte
    ➜ Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Bluthochdruck), Medikamentenanamnese, Familienanamnese von Nierenerkrankungen, Infektionen.

Körperliche Untersuchung

  • Inspektion
    ➜ Hautveränderungen (z.B. Pruritus, Ödeme), Anzeichen von Dehydratation.
  • Palpation
    ➜ Nierenlager auf Schmerzhaftigkeit und Vergrößerung prüfen.
  • Perkussion
    ➜ Klopfschmerz über den Nieren (Hinweis auf Pyelonephritis oder Nierensteine).
  • Auskultation
    ➜ Abhören von Strömungsgeräuschen (Hinweis auf Nierenarterienstenose).

Laboruntersuchungen

Blutuntersuchungen

  • Serumkreatinin
    ➜ Ein Marker für die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und Nierenfunktion.
  • Blutharnstoffstickstoff (BUN)
    ➜ Ein weiterer Indikator für die Nierenfunktion, besonders in Kombination mit Serumkreatinin.
  • Elektrolyte
    ➜ Natrium, Kalium, Kalzium, Phosphat zur Beurteilung des Elektrolythaushalts.
  • Albumin
    ➜ Hypoalbuminämie kann auf ein nephrotisches Syndrom oder chronische Nierenerkrankung hinweisen.
  • GFR
    ➜ Berechnung der glomerulären Filtrationsrate zur Abschätzung der Nierenfunktion.

Urinuntersuchungen

  • Urinstreifen-Test
    ➜ Schnelltest zur Erkennung von Proteinurie, Hämaturie, Leukozyturie und Nitriten.
  • Urinsediment
    ➜ Mikroskopische Untersuchung zur Erkennung von Zylindern, Erythrozyten, Leukozyten und Kristallen.
  • 24-Stunden-Urinsammlung
    ➜ Bestimmung von Kreatinin-Clearance, Proteinurie und Elektrolytausscheidung.
  • Urinkultur
    ➜ Identifizierung von Erregern bei Verdacht auf Harnwegsinfektionen.

Invasive Untersuchungen

Nierenbiopsie

  • Indikationen
    ➜ Unklare Proteinurie, Hämaturie, akutes oder chronisches Nierenversagen, Verdacht auf spezifische Nierenerkrankungen (z.B. Glomerulonephritis).
  • Verfahren
    ➜ Entnahme einer Gewebeprobe unter Ultraschall- oder CT-Führung.
  • Komplikationen
    ➜ Blutungen, Schmerzen, Infektionen.

Zystoskopie

  • Verfahren
    ➜ Endoskopische Untersuchung der Harnblase und der unteren Harnwege.
  • Indikationen
    ➜ Unklare Hämaturie, Blasenanomalien, wiederkehrende Harnwegsinfektionen.

Bildgebende Verfahren

Ultraschall (Sonographie)

  • Indikationen
    ➜ Beurteilung der Nierengröße, -form und -struktur; Erkennung von Zysten, Tumoren, Hydronephrose und Nierensteinen.
  • Doppler-Ultraschall
    ➜ Beurteilung des Blutflusses in den Nierengefäßen, Erkennung von Nierenarterienstenose.

Computertomographie (CT)

  • Kontrastmittel-CT
    ➜ Detaillierte Beurteilung der Nierenanatomie und -pathologie, einschließlich Tumoren, Zysten und Steinbildung.
  • Spiral-CT
    ➜ Schnelle und genaue Erkennung von Nierensteinen und vaskulären Anomalien.

Magnetresonanztomographie (MRT)

  • MRT mit Kontrastmittel (Gadolinium)
    ➜ Detaillierte Beurteilung der Nierenstruktur und -funktion, besonders nützlich bei Patienten mit Kontraindikationen für iodhaltige Kontrastmittel.
  • MR-Angiographie
    ➜ Nicht-invasive Beurteilung der Nierengefäße und Erkennung von Nierenarterienstenosen.

Intravenöse Pyelographie (IVP)

  • Verfahren
    ➜ Kontrastmittel wird intravenös injiziert und Röntgenaufnahmen werden gemacht, um die Nieren, Harnleiter und Blase darzustellen.
  • Indikationen:
    ➜ Beurteilung von Harnabflussstörungen, Nierensteinen und anatomischen Anomalien.

Zusammenfassung

Die Nieren sind paarige bohnenförmige Organe im menschlichen Körper, die sich im hinteren Bauchraum befinden. Sie spielen eine entscheidende Rolle im Harnsystem, indem sie das Blut filtern, Abfallprodukte und überschüssige Flüssigkeiten entfernen und diese in Form von Urin ausscheiden. Jede Niere enthält etwa eine Million Nephrone, die funktionellen Einheiten, die den Filtrationsprozess durchführen. Neben der Urinproduktion regulieren die Nieren den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt, den Blutdruck und die Produktion von Hormonen wie Erythropoetin, das die Bildung roter Blutkörperchen anregt. Nierenversagen kann lebensbedrohlich sein und erfordert medizinische Intervention.

Quellen

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  • Andreae, S. (Hrsg.). (2008). Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen (2. Aufl.). Thieme.
  • Brenner, B. M., & Rector, F. C. (2008). The Kidney. Elsevier Health Sciences.
  • Tisher, C. C., & Brenner, B. M. (1989). Renal Pathophysiology. J. B. Lippincott.
  • National Kidney Foundation. (2023). Anatomy and Function of the Kidney. Abgerufen 10. Juli 2024, von National Kidney Foundation website: https://www.kidney.org
  • American Society of Nephrology. (2023). Kidney Health Library. Abgerufen 10. Juli 2024, von Asn-online.org website: http://www.asn-online.org