Blutentnahme

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[bluːtʔʔɛntˌnaːmə]
Plural:
Blutentnahmen
Abkürzung:
BE
Trennung:
Blut|ent|nah|me
Synonym:
Blutabnahme, Effusion
Englisch:
blood collection

Blutentnahme, auch als Venenpunktion bezeichnet, ist ein medizinisches Verfahren zur Gewinnung von Blutproben aus dem Kreislaufsystem eines Patienten. Diese Proben werden für diagnostische, therapeutische und wissenschaftliche Zwecke verwendet. Die Entnahme erfolgt meist aus einer Vene, seltener aus einer Arterie oder durch eine Kapillarblutentnahme.

Indikationen

Diagnostische Zwecke

Blutbild und Differenzialblutbild

  • Anämie
    ➜ Untersuchung auf Hämoglobin, Hämatokrit und Erythrozytenzahl.
  • Infektionen
    ➜ Leukozytenzahl und Differenzialblutbild zur Erkennung von bakteriellen oder viralen Infektionen.
  • Leukämien und andere hämatologische Erkrankungen
    ➜ Abnormale Leukozytenzahlen und abnorme Zellformen.

Bestimmung von Elektrolyten und Blutzuckerspiegel

  • Elektrolytstörungen
    ➜ Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium.
  • Diabetes mellitus
    ➜ Nüchternblutzucker, HbA1c.

Leber- und Nierenfunktionsparameter

  • Lebererkrankungen
    ➜ Alanin-Aminotransferase (ALT), Aspartat-Aminotransferase (AST), Bilirubin.
  • Nierenerkrankungen
    ➜ Kreatinin, Harnstoff, Glomeruläre Filtrationsrate (GFR).

Hormonspiegel

  • Schilddrüsenfunktion
    TSH, freies T4, freies T3.
  • Nebennierenfunktion
    ➜ Cortisol, Aldosteron.
  • Reproduktionshormone
    ➜ Östrogen, Progesteron, Testosteron, LH, FSH.

Infektionsserologie

  • Virusinfektionen
    ➜ HIV, Hepatitis B und C, Epstein-Barr-Virus.
  • Bakterielle Infektionen
    ➜ Syphilis, Lyme-Borreliose.
  • Parasitäre Infektionen
    ➜ Malaria, Toxoplasmose.

Therapeutische Zwecke

Therapeutische Phlebotomie

  • Hämochromatose
    ➜ Regelmäßige Blutentnahmen zur Reduktion des Eisenspeicherüberschusses.
  • Polycythaemia vera
    ➜ Blutentnahmen zur Reduktion der Erythrozytenzahl.

Blutspende

  • Freiwillige Blutspende
    ➜ zur Verwendung in der Transfusionsmedizin.

Überwachung von Erkrankungen und Therapien

Monitoring von Medikamentenspiegeln

  • Therapeutisches Drug Monitoring (TDM)
    ➜ Zur Sicherstellung therapeutischer Spiegel und Vermeidung von Toxizität (z.B. bei Antiepileptika, Antibiotika, Immunsuppressiva).

Kontrolle der Blutgerinnung

  • Patienten unter Antikoagulation
    ➜ INR (International Normalized Ratio), aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit), Thrombozytenzahl.

Chronische Erkrankungen

  • Diabetes mellitus
    Regelmäßige Überwachung des HbA1c.
  • Niereninsuffizienz
    ➜ Regelmäßige Kontrolle von Kreatinin und GFR.
  • Leberzirrhose
    ➜ Regelmäßige Überwachung von Leberenzymen und Bilirubin.

Präventivmedizinische Untersuchungen

Gesundheits-Check-ups

  • Früherkennung
    ➜ Routineblutuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten.
  • Lipidprofil
    ➜ Cholesterin, HDL, LDL, Triglyceride.

Vorsorgeuntersuchungen

  • Tumormarker
    ➜ PSA (Prostata-spezifisches Antigen) für Prostatakrebs, CA-125 für Ovarialkarzinom.

Notfallmedizinische Indikationen

Akute Erkrankungen

  • Herzinfarkt
    ➜ Troponine, CK-MB.
  • Akutes Nierenversagen
    ➜ Kreatinin, Elektrolyte.
  • Sepsis
  • ➜ Blutkulturen, Lactat, Procalcitonin.

Traumata

  • Blutverluste
    ➜ Hämoglobin, Hämatokrit.
  • Elektrolytstörungen
    ➜ Natrium, Kalium.

Spezielle Untersuchungen

Genetische Tests

  • Diagnostik von Erbkrankheiten
    ➜ Zytogenetische Untersuchungen, molekulargenetische Analysen.
  • Pharmakogenetik
    ➜ Untersuchung genetischer Varianten, die die Arzneimittelantwort beeinflussen.

Immunologische Tests

  • Allergiediagnostik
    Spezifische IgE-Antikörper.
  • Autoimmunerkrankungen
    ➜ ANA (antinukleäre Antikörper), Rheumafaktor, Anti-CCP (zyklische citrullinierte Peptide).
Blutentnahme
Bei der venösen Blutentnahme wird eine Nadel in eine Vene eingeführt, um eine Blutprobe zur Untersuchung zu entnehmen.

Arten der Blutentnahme

Es gibt verschiedene Methoden der Blutentnahme, die je nach klinischer Indikation und Patientensituation angewendet werden.

Venenpunktion

  • Definition
    ➜ Entnahme von Blut aus einer Vene, meist im Bereich der Armbeuge.
  • Ablauf
    • Auswahl der Vene (meist Vena cubitalis)
    • Anlegen eines Stauschlauchs oberhalb der Punktionsstelle
    • Desinfektion der Haut
    • Einführen der Nadel in die Vene und Entnahme der Blutprobe
    • Entfernen der Nadel und Anlegen eines Druckverbandes
  • Verwendung:
    • Häufigste Methode zur Blutentnahme für Laboranalysen
    • Geeignet für große Mengen Blut und verschiedene Tests (Blutbild, Chemieprofile, Gerinnungsstudien)
  • Häufige Punktiosstellen

Kapillarblutentnahme

  • Definition
    ➜ Entnahme von Blut aus Kapillaren, meist an der Fingerbeere, dem Ohrläppchen oder der Ferse bei Neugeborenen.
  • Ablauf
    • Auswahl der Punktionsstelle (Fingerbeere, Ohrläppchen, Ferse)
    • Desinfektion der Haut
    • Verwendung einer Lanzette zum Stechen in die Haut
    • Sammeln des austretenden Blutes in einem Kapillarröhrchen oder auf einem Teststreifen
  • Verwendung:
    • Geeignet für kleine Blutmengen
    • Häufig verwendet für Blutzuckermessungen, Schnelltests und bei Neugeborenen

Arterielle Blutentnahme

  • Definition:
    ➜ Entnahme von Blut aus einer Arterie, meist der Arteria radialis.
  • Ablauf
    • Auswahl der Arterie (meist Arteria radialis)
    • Palpation der Arterie und Fixation der Punktionsstelle
    • Desinfektion der Haut
    • Einführen der Nadel in die Arterie und Entnahme der Blutprobe
    • Entfernen der Nadel und Anlegen eines Druckverbandes zur Blutstillung
  • Verwendung
    • Bestimmung von Blutgasen und Säure-Basen-Status
    • Notwendig bei kritischen Patienten zur Überwachung der Oxygenierung und Ventilation

Venöse Blutentnahme mit Butterfly-Kanüle

  • Definition
    ➜ Entnahme von Blut mit einer Butterfly-Kanüle, die über einen flexiblen Schlauch mit dem Probenröhrchen verbunden ist.
  • Ablauf
    • Auswahl der Vene und Anlegen eines Stauschlauchs
    • Desinfektion der Haut
    • Einführen der Butterfly-Kanüle in die Vene
    • Blutentnahme durch den flexiblen Schlauch in das Probenröhrchen
    • Entfernen der Kanüle und Anlegen eines Druckverbandes
  • Verwendung
    • Besonders geeignet für schwierige Venenverhältnisse oder bei Kindern
    • Verwendet bei mehrfachen Blutentnahmen in kurzer Zeit

Zentrale Venenkatheter-Blutentnahme

  • Definition
    ➜ Entnahme von Blut aus einem zentralen Venenkatheter (ZVK), der in eine große zentrale Vene eingeführt wurde.
  • Ablauf
    • Desinfektion des Katheteransatzes
    • Abklemmen der Infusionsleitung
    • Entnahme der Blutprobe durch den Katheter
    • Spülen des Katheters mit Kochsalzlösung
    • Wiederanschluss der Infusionsleitung
  • Verwendung
    • Bei intensivmedizinischen Patienten mit bestehendem ZVK
    • Ermöglicht schnelle und häufige Blutentnahmen ohne zusätzliche Punktionen

Punktion eines implantierten Ports

  • Definition
    ➜ Entnahme von Blut aus einem implantierten Portkatheter, der unter der Haut liegt und über einen Zugang verfügt.
  • Ablauf
    • Desinfektion der Haut über dem Port
    • Anstechen des Ports mit einer speziellen Portnadel
    • Entnahme der Blutprobe
    • Entfernen der Nadel und Anlegen eines sterilen Verbandes
  • Verwendung
    • Bei onkologischen Patienten zur langfristigen Therapie und Blutentnahme
    • Geeignet für Patienten mit schlechten peripheren Venenverhältnissen

Klinik

Vorbereitung

  • Aufklärung des Patienten über den Ablauf und Zweck der Blutentnahme
  • Für ein ruhiges und entspanntes Setting sorgen
  • Desinfektion der Punktionsstelle
  • Bei Venöser-Blutentnahme: Anlegen eines Stauschlauchs zur besseren Sichtbarkeit der Vene

Durchführung

  • Hygienische Händedesinfektion
  • Auswahl und Desinfektion der Punktionsstelle
  • Auswahl der Blutentnahmeart (z.B. venöse, arterielle oder kapilläre Entnahme)
  • Auswahl der Blutentnahmeröhrchen (z.B. Aspirationssystem, Unterdrucksystem)
  • Entnahme der benötigten Blutmenge
  • Entfernung der Kanüle, ggf. Versorgung der Punktionsstelle mit einem Druckverband

Nachsorge

  • Überwachung der Punktionsstelle auf Nachblutungen oder Hämatome
  • Informieren des Patienten über mögliche Komplikationen

Komplikationen

Hämatome

  • Bluterguss durch Verletzung der Vene oder umliegender Gewebe
  • Prävention durch richtige Technik und Druckanwendung nach der Entnahme

Infektionen

  • Selten, aber möglich bei unsachgemäßer Desinfektion oder Technik
  • Prävention durch sterile Arbeitsweise

Vasovagale Reaktionen

  • Ohnmachtsanfälle durch Angst oder Schmerz
  • Prävention durch ruhige Aufklärung und entspannte Atmosphäre

Arterielle Punktion

  • Unbeabsichtigtes Anstechen einer Arterie statt einer Vene
  • Erkennung durch hellrotes, pulsierendes Blut
  • Sofortige Kompression der Punktionsstelle erforderlich

Rechtliche Aspekte in Deutschland

Zuständigkeit

  • Blutentnahmen dürfen in der Regel nur von approbierten Ärzten durchgeführt werden.
  • Unter bestimmten Umständen können auch nichtärztliche Berufsgruppen (z.B. medizinische Fachangestellte) Blutentnahmen durchführen, sofern sie speziell dafür geschult sind und unter ärztlicher Aufsicht arbeiten.

Einwilligung

  • Patienten müssen über den Zweck und Ablauf der Blutentnahme aufgeklärt werden und ihre Einwilligung erteilen.
  • Bei minderjährigen oder nicht einwilligungsfähigen Patienten muss die Einwilligung durch einen gesetzlichen Vertreter erfolgen.

Dokumentation

  • Jede Blutentnahme muss ordnungsgemäß dokumentiert werden, einschließlich Zeitpunkt, durchführender Person und entnommener Blutmenge.

Blutentnahme durch Nicht-Ärzte

Voraussetzungen

  • Nicht-ärztliches Personal (z.B. Pflegekräfte, medizinische Fachangestellte) darf Blutentnahmen durchführen, wenn sie entsprechend geschult und qualifiziert sind.
  • Die Durchführung muss unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortung erfolgen.

Schulung

  • Spezielle Schulungen zur Blutentnahme beinhalten theoretische und praktische Ausbildung, einschließlich Hygienerichtlinien, Technik der Venenpunktion und Umgang mit Komplikationen.

Aufsicht

  • Blutentnahmen durch nicht-ärztliches Personal müssen regelmäßig überwacht und evaluiert werden, um die Qualität und Sicherheit zu gewährleisten.

Zwangsweise Blutentnahme (§§ 81a und 81b StPO)

In bestimmten Situationen kann eine zwangsweise Blutentnahme erforderlich sein, um wichtige medizinische oder rechtliche Informationen zu erhalten. In Deutschland unterliegt die zwangsweise Blutentnahme strengen rechtlichen Rahmenbedingungen, die sicherstellen sollen, dass die Rechte des Einzelnen gewahrt bleiben.

Rechtliche Grundlagen

  • Strafprozessordnung (StPO)
    • Die zwangsweise Blutentnahme ist in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt, insbesondere in den §§ 81a und 81b.
    • § 81a StPO erlaubt die Entnahme von Blutproben bei Beschuldigten zur Feststellung von Tatsachen, die für das Strafverfahren von Bedeutung sind.
    • § 81b StPO regelt die Identitätsfeststellung durch körperliche Eingriffe und Blutentnahmen.
  • Verkehrsrecht
    • Gemäß § 81a StPO kann bei Verdacht auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Straßenverkehr eine Blutentnahme durchgeführt werden, um die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit festzustellen.
  • Richterliche Anordnung & Durchführung
    • Grundsätzlich bedarf die zwangsweise Blutentnahme einer richterlichen Anordnung.
    • In dringenden Fällen, wenn Gefahr im Verzug besteht und eine richterliche Anordnung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, darf die Blutentnahme auch ohne richterlichen Beschluss durch einen Staatsanwalt oder die Polizei angeordnet werden.
    • Sie darf nur durch einen approbierten Arzt durchgeführt werden.

Voraussetzungen und Durchführung

  • Voraussetzungen
    • Dringender Tatverdacht oder konkrete Hinweise auf eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit.
    • Notwendigkeit der Blutentnahme zur Beweissicherung.
    • Grundsätzlich Zustimmung eines Richters; bei Gefahr im Verzug ausreichende Anordnung durch die Staatsanwaltschaft oder Polizei.
  • Durchführung
    • Die Blutentnahme muss von einem Arzt oder einer anderen medizinisch qualifizierten Person durchgeführt werden.
    • Die Entnahme sollte unter Berücksichtigung der medizinischen Standards erfolgen, um das Risiko von Komplikationen zu minimieren.
  • Dokumentation
    • Jede zwangsweise Blutentnahme muss sorgfältig dokumentiert werden, einschließlich der Gründe für die Maßnahme, der Anordnung und des Verlaufs der Entnahme.

Rechte der Betroffenen

  • Information:
    • Die betroffene Person muss über den Grund der Blutentnahme und ihre rechtlichen Möglichkeiten informiert werden.
    • Der Betroffene hat das Recht, einen Anwalt zu konsultieren.
  • Widerspruchsrecht:
    • Der Betroffene kann gegen die Maßnahme Widerspruch einlegen. Dieser Widerspruch hat jedoch keine aufschiebende Wirkung.
  • Schutz der Menschenwürde:
    • Die Maßnahme muss unter Wahrung der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit durchgeführt werden.

Zusammenfassung

Die Blutentnahme ist ein grundlegendes medizinisches Verfahren, das vielfältige diagnostische und therapeutische Anwendungen hat. Ihre Durchführung erfordert fundierte Kenntnisse und Techniken, um Komplikationen zu vermeiden. Rechtliche Regelungen in Deutschland stellen sicher, dass Blutentnahmen fachgerecht und sicher durchgeführt werden, sei es durch Ärzte oder qualifiziertes nicht-ärztliches Personal.

Quellen

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  • Strafprozessordnung (StPO), §§ 81a, 81b
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