Elektrokardiogramm (EKG)

Wortart:
Substantiv, maskukin
Aussprache (IPA):
[eˌlektroˌkaʁdioˈɡʁam]
Plural:
Elektrokardiogramme
Abkürzung:
EKG
Trennung:
Elek|tro|kar|dio|gramm
Synonym:
Herzstromkurve, Herzspannungskurve
Englisch:
electrocardiogram, ECG
Abstammung:
griech.: καρδία (kardía) = Herz; γράμμα (grámma) = Geschriebenes

Das Elektrokardiogramm (EKG) ist ein unverzichtbares diagnostisches Instrument in der Kardiologie und der inneren Medizin. Es ermöglicht die Aufzeichnung und Analyse der elektrischen Aktivität des Herzens, was entscheidend für die Diagnose und das Management einer Vielzahl von kardiovaskulären Erkrankungen ist.

Grundlagen des EKG

Das Herz besteht aus spezialisierten Muskelzellen, die elektrische Impulse erzeugen und weiterleiten, um die rhythmischen Kontraktionen des Herzens zu koordinieren. Das EKG zeichnet diese elektrischen Aktivitäten als Wellenmuster auf, das die Aktivität der Vorhöfe und Ventrikel widerspiegelt.

Physiologie der Herzerregung

Die Herzerregung beginnt im Sinusknoten, der sich im rechten Vorhof befindet. Der Sinusknoten fungiert als primärer Schrittmacher des Herzens und erzeugt regelmäßige elektrische Impulse, die die Vorhöfe zur Kontraktion anregen. Diese Impulse breiten sich über die Vorhöfe aus und erreichen den AV-Knoten, der eine kurze Verzögerung ermöglicht, bevor die Erregung in die Ventrikel übergeleitet wird. Über das His-Bündel, die Tawara-Schenkel und die Purkinje-Fasern breitet sich die Erregung in den Ventrikeln aus und führt zur Kontraktion der Kammern.

EKG-Ableitungen

Das EKG wird mithilfe von Elektroden aufgezeichnet, die an spezifischen Stellen des Körpers platziert werden. Es gibt verschiedene Standardableitungen, die in bipolare und unipolare Ableitungen unterteilt werden.

  1. Bipolare Ableitungen: Diese umfassen die Ableitungen I, II und III, die die Spannungsdifferenz zwischen zwei Elektroden aufzeichnen.
  2. Unipolare Ableitungen: Diese umfassen die Ableitungen aVR, aVL und aVF sowie die Brustwandableitungen V1 bis V6. Sie messen die elektrische Aktivität im Vergleich zu einer Bezugselektrode.

Indikationen für die Durchführung eines EKGs

Ein EKG wird bei einer Vielzahl von klinischen Fragestellungen und Symptomen eingesetzt:

Akute Symptome

  • Brustschmerzen: Zur Differenzierung zwischen Angina pectoris und Myokardinfarkt.
  • Herzrasen (Tachykardie) oder unregelmäßiger Herzschlag (Arrhythmie): Zur Identifikation von Rhythmusstörungen.
  • Atemnot (Dyspnoe): Um kardiale Ursachen wie Herzinsuffizienz auszuschließen.
  • Synkope oder Schwindel: Zur Erkennung möglicher Herzrhythmusstörungen.
  • Lungenembolie

Chronische Erkrankungen und Monitoring

  • Arterielle Hypertonie: Zur Beurteilung von Hypertrophien und anderen Langzeitschäden am Herzen.
  • Diabetes mellitus: Regelmäßige Kontrollen zur Früherkennung von kardiovaskulären Komplikationen.
  • Kardiomyopathien und Herzinsuffizienz: Zur Verlaufskontrolle und Therapieanpassung.

Präoperative Untersuchungen

Vor größeren chirurgischen Eingriffen wird oft ein EKG durchgeführt, um das Risiko von kardialen Komplikationen zu minimieren.

Screening und Vorsorge

In bestimmten Populationen, wie bei älteren Patienten oder bei Patienten mit familiärer Vorbelastung für Herzerkrankungen, kann ein EKG als Vorsorgemaßnahme sinnvoll sein.

Interpretation des EKG

Die Interpretation eines EKGs erfordert ein systematisches Vorgehen. Die wichtigsten Parameter, die analysiert werden, umfassen die Herzfrequenz, den Rhythmus, die Achse, sowie die Morphologie und Dauer der verschiedenen Wellen und Intervalle.

Herzfrequenz und Rhythmus

Die Herzfrequenz wird durch Zählen der QRS-Komplexe über einen bestimmten Zeitraum berechnet. Der Rhythmus wird durch die Regelmäßigkeit der P-Wellen und QRS-Komplexe sowie deren Beziehung zueinander bestimmt. Ein regelmäßiger Rhythmus deutet oft auf einen Sinusrhythmus hin, während Unregelmäßigkeiten auf Arrhythmien hinweisen können.

Wellen und Intervalle

  • P-Welle
    ➜ Repräsentiert die atriale Depolarisation. Normale Dauer: <120 ms.
  • PR-Intervall
    ➜ Repräsentiert die Zeit von der atrialen Depolarisation bis zur ventrikulären Depolarisation. Normale Dauer: 120-200 ms.
  • QRS-Komplex
    ➜ Repräsentiert die ventrikuläre Depolarisation. Normale Dauer: <120 ms.
  • ST-Strecke und T-Welle
    ➜ Repräsentieren die ventrikuläre Repolarisation. Veränderungen in der ST-Strecke und T-Welle können auf Ischämie oder Infarkt hinweisen.
  • QT-Intervall
    ➜ Repräsentiert die gesamte Dauer der ventrikulären Depolarisation und Repolarisation. Eine verlängerte QT-Zeit kann ein Risiko für Torsade de Pointes und plötzlichen Herztod darstellen.

Normalwerte und Abweichungen

Ein gesundes EKG zeigt bestimmte Normalwerte:

  • P-Welle: Dauer < 0,12 Sekunden, Amplitude < 2,5 mm.
  • QRS-Komplex: Dauer < 0,12 Sekunden.
  • PR-Intervall: Dauer 0,12-0,20 Sekunden.
  • QT-Intervall: Abhängig von der Herzfrequenz, normalerweise < 0,44 Sekunden.

Abweichungen von diesen Werten können auf verschiedene pathologische Zustände hinweisen:

  • Bradykardie: Herzfrequenz < 60 Schläge pro Minute.
  • Tachykardie: Herzfrequenz > 100 Schläge pro Minute.
  • Arrhythmien: Unregelmäßiger Herzrhythmus.
  • Ischämie: ST-Segment-Hebungen oder -Senkungen.

Anzahl der Ableitungen im EKG

Das Standard-Elektrokardiogramm (EKG) verwendet mehrere Ableitungen, um die elektrische Aktivität des Herzens aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Diese Ableitungen sind essenziell für eine genaue Diagnose und eine umfassende Analyse der Herzfunktion. In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Ableitungen des Standard-12-Kanal-EKGs sowie spezielle Ableitungen und deren klinische Bedeutung erläutert.

Das Standard-12-Kanal-EKG

Das Standard-12-Kanal-EKG besteht aus 10 Elektroden, die an spezifischen Stellen des Körpers platziert werden, um 12 unterschiedliche Ableitungen zu erzeugen. Diese Ableitungen lassen sich in Extremitätenableitungen und Brustwandableitungen unterteilen.

Extremitätenableitungen

Die Extremitätenableitungen werden aus vier Elektroden erzeugt, die an den Armen und Beinen angebracht sind. Es gibt sechs Ableitungen, die in bipolare und unipolare Ableitungen unterteilt werden.

Bipolare Extremitätenableitungen:

  • Ableitung I
    ➜ Misst die Potentialdifferenz zwischen dem rechten und linken Arm.
  • Ableitung II
    ➜ Misst die Potentialdifferenz zwischen dem rechten Arm und dem linken Bein.
  • Ableitung III
    ➜ Misst die Potentialdifferenz zwischen dem linken Arm und dem linken Bein.

Unipolare Extremitätenableitungen:

  1. aVR (augmented Vector Right)
    ➜ Misst die elektrische Aktivität des Herzens in Richtung des rechten Arms.
  2. aVL (augmented Vector Left)
    ➜ Misst die elektrische Aktivität des Herzens in Richtung des linken Arms.
  3. aVF (augmented Vector Foot)
    ➜ Misst die elektrische Aktivität des Herzens in Richtung des linken Beins.

Extremitätenableitungen

Für die Ableitungen der Extremitäten werden vier Elektroden verwendet, die an den Armen und Beinen des Patienten angebracht werden. Die korrekte Platzierung dieser Elektroden ist entscheidend für die Genauigkeit des EKGs.

  • Rechter Arm (RA) – Rot
    ➜ Die Elektrode wird an der rechten Schulter oder am rechten Unterarm angebracht.
  • Linker Arm (LA) – Gelb
    ➜ Die Elektrode wird an der linken Schulter oder am linken Unterarm angebracht.
  • Rechtes Bein (RL) – Schwarz (Erdung)
    ➜ Die Elektrode wird am rechten Unterschenkel oder oberhalb des rechten Knöchels angebracht. Diese Elektrode dient in der Regel als Erdungselektrode.
  • Linkes Bein (LL) – Grün
    ➜ Die Elektrode wird am linken Unterschenkel oder oberhalb des linken Knöchels angebracht.

Brustwandableitungen

Die Brustwandableitungen (nach Wilson) werden aus sechs Elektroden erzeugt, die an verschiedenen Positionen auf der Brust angebracht werden. Diese Ableitungen sind unipolar und geben detaillierte Informationen über die elektrische Aktivität in verschiedenen Bereichen des Herzens.

  • V1 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert im vierten Interkostalraum rechts vom Sternum.
  • V2 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert im vierten Interkostalraum links vom Sternum.
  • V3 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert zwischen V2 und V4.
  • V4 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert im fünften Interkostalraum auf der linken Medioklavikularlinie.
  • V5 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert auf der linken vorderen Axillarlinie auf Höhe von V4.
  • V6 – Brustwandelektrode
    ➜ Platziert auf der linken mittleren Axillarlinie auf Höhe von V4 und V5.

Spezielle Ableitungen

Neben dem Standard-12-Kanal-EKG gibt es spezielle Ableitungen, die in bestimmten klinischen Situationen verwendet werden, um zusätzliche Informationen zu erhalten.

Hinterwandableitungen

Bei Verdacht auf eine Hinterwandinfarkt können zusätzliche Ableitungen wie V7, V8 und V9 verwendet werden. Diese Elektroden werden auf der Rückseite des Thorax platziert, um die elektrische Aktivität des hinteren Teils des Herzens zu erfassen.

Rechte Brustwandableitungen

Bei Verdacht auf einen rechtsventrikulären Infarkt können rechte Brustwandableitungen (V3R, V4R, etc.) verwendet werden. Diese Elektroden werden auf der rechten Seite des Thorax platziert.

Bedeutung der verschiedenen Ableitungen

Jede Ableitung im EKG gibt Einblick in die elektrische Aktivität des Herzens aus einem anderen Winkel. Dies ist entscheidend für die Diagnose von Herzerkrankungen, da pathologische Veränderungen oft nur in spezifischen Ableitungen sichtbar sind. Zum Beispiel:

  • Ableitungen II, III und aVF: Erfassen die Aktivität der inferioren (unteren) Wand des Herzens.
  • Ableitungen I, aVL, V5 und V6: Erfassen die Aktivität der lateralen (seitlichen) Wand des Herzens.
  • Ableitungen V1 und V2: Erfassen die Aktivität der anterioren (vorderen) Wand des Herzens.
  • Ableitungen V3 und V4: Erfassen die Aktivität der apikalen (spitzen) Region des Herzens.

EKG-Verfahren

Ruhe-EKG

Das Ruhe-EKG wird in einem entspannten Zustand des Patienten durchgeführt und ist das Basisverfahren für die meisten diagnostischen Fragestellungen. Der Patient liegt ruhig auf einer Untersuchungsliege, und die Aufzeichnung dauert in der Regel nur wenige Minuten.

Belastungs-EKG

Das Belastungs-EKG, auch als Ergometrie bekannt, kombiniert die EKG-Aufzeichnung mit körperlicher Aktivität, meist auf einem Laufband oder Fahrrad-Ergometer. Es wird verwendet, um die Herzfunktion unter Stress zu beurteilen und ist besonders hilfreich bei der Diagnose von belastungsinduzierter Ischämie.

Langzeit-EKG (Holter-Monitoring)

Das Langzeit-EKG überwacht die Herzaktivität über 24 Stunden oder länger. Es ist besonders nützlich zur Erkennung intermittierender Arrhythmien, die bei einem kurzen Ruhe-EKG möglicherweise nicht auftreten.

Ereignisrekorder

Ein Ereignisrekorder ist ein tragbares Gerät, das der Patient bei sich trägt und manuell aktiviert, wenn Symptome wie Schwindel oder Herzklopfen auftreten. Es erlaubt die gezielte Aufzeichnung der Herzaktivität während symptomatischer Episoden.

Telemetrie-EKG

Das Telemetrie-EKG ermöglicht die kontinuierliche Überwachung des Herzens in Echtzeit, oft in einem Krankenhaussetting. Es wird häufig bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder nach Herzoperationen verwendet.

Klinische Anwendung

Das EKG ist ein vielseitiges diagnostisches Werkzeug, das in zahlreichen klinischen Szenarien eingesetzt wird.

Akutes Koronarsyndrom (ACS)

Beim Verdacht auf ein ACS ist das EKG das primäre diagnostische Instrument. ST-Hebungen in bestimmten Ableitungen deuten auf einen ST-Hebungsinfarkt (STEMI) hin, während ST-Senkungen oder T-Wellen-Inversionen auf eine instabile Angina oder einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) hinweisen können.

Arrhythmien

Das EKG ist entscheidend für die Diagnose und Klassifikation von Arrhythmien. Beispiele sind Vorhofflimmern, Vorhofflattern, ventrikuläre Tachykardien und Bradykardien.

Elektrolytstörungen und Medikamenteneffekte

Veränderungen im EKG können auch auf Elektrolytstörungen wie Hyperkaliämie oder Hypokaliämie sowie auf die Auswirkungen bestimmter Medikamente hinweisen, wie z.B. Digitalis-Toxizität oder Antiarrhythmika.

Struktur- und Funktionsanomalien

Hypertrophie, Dilatation und andere strukturelle Veränderungen des Herzens können ebenfalls durch spezifische EKG-Veränderungen erkannt werden. Zum Beispiel deutet ein verlängerter QRS-Komplex auf eine ventrikuläre Hypertrophie oder eine intraventrikuläre Leitungsstörung hin.

Langzeitüberwachung und Belastungstests

Das Holter-EKG ermöglicht die Langzeitüberwachung der Herzaktivität über 24 Stunden oder länger. Belastungstests (Ergometrie) kombinieren EKG-Aufzeichnungen mit körperlicher Aktivität, um die Herzfunktion unter Stressbedingungen zu bewerten.

Störquellen bei der EKG-Aufzeichnung

Technische Störquellen

  • Bewegungsartefakte: Durch Muskelbewegungen oder unruhige Patienten verursacht.
  • Elektromagnetische Interferenzen: Von elektronischen Geräten in der Umgebung, wie Mobiltelefonen oder Computern.
  • Kontaktprobleme: Schlechter Kontakt der Elektroden zur Haut durch Schweiß, Haare oder trockene Haut.

Physiologische Störquellen

  • Atmung: Kann zu Schwankungen der EKG-Linie führen, insbesondere bei tiefem oder unregelmäßigem Atmen.
  • Tremor: Bei Patienten mit Tremor, z.B. bei Parkinson-Krankheit, kann das EKG stark gestört sein.

Maßnahmen zur Minimierung von Störungen

  • Sorgfältige Vorbereitung der Haut an den Elektrodenstellen (Reinigung und ggf. Rasur).
  • Verwendung von leitfähigem Gel oder Klebeelektroden zur Verbesserung des Hautkontakts.
  • Sicherstellung einer ruhigen und entspannten Position des Patienten während der Aufzeichnung.

Fallbeispiele und Interpretation

Fall 1: Akuter Myokardinfarkt

Ein 55-jähriger Mann stellt sich mit retrosternalen Schmerzen in der Notaufnahme vor. Das EKG zeigt ST-Hebungen in den Ableitungen II, III und aVF sowie ST-Senkungen in den Ableitungen I und aVL. Diese Befunde sind typisch für einen inferioren Myokardinfarkt.

Fall 2: Vorhofflimmern

Eine 70-jährige Frau kommt mit Palpitationen und Dyspnoe in die Klinik. Das EKG zeigt eine unregelmäßige Tachykardie ohne erkennbare P-Wellen, was mit Vorhofflimmern vereinbar ist.

Herausforderungen und Zukunftsaussichten

Technologische Fortschritte

Moderne EKG-Geräte sind mit digitaler Technologie ausgestattet, die eine präzisere Datenerfassung und -analyse ermöglicht. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden zunehmend zur Verbesserung der EKG-Interpretation eingesetzt.

Telemedizin

Telemedizinische Lösungen ermöglichen die Fernüberwachung von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was die Versorgung in ländlichen oder unterversorgten Gebieten verbessert.

Ausbildung und Kompetenzentwicklung

Die Interpretation von EKGs erfordert fundierte Kenntnisse und kontinuierliche Weiterbildung. Simulationsbasierte Schulungen und zertifizierte Fortbildungsprogramme tragen zur Kompetenzentwicklung von medizinischem Fachpersonal bei.

Zusammenfassung

Das Elektrokardiogramm bleibt ein zentraler Bestandteil der kardiovaskulären Diagnostik und Therapie. Die korrekte Durchführung, Analyse und Interpretation eines EKGs sind entscheidend für die Identifikation und das Management einer Vielzahl von Herzkrankheiten. Kontinuierliche Weiterbildung und Praxis sind unerlässlich, um die Fähigkeiten in der EKG-Interpretation zu verfeinern und optimale Patientenergebnisse zu gewährleisten.

Quellen

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