Spirometrie

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[ʃpiˈʀoːmeˌtʁiː]
Adjektiv:
spirometrsch
Plural:
Spirometrien
Trennung:
Spi|ro|me|trie
Synonym:
Spirographie
Englisch:
spirometry, spirography
Abstammung:
latein: spirare = atmen, griech.: metron = Maß, messen

Die Spirometrie ist ein wesentliches diagnostisches Werkzeug in der Pneumologie. Sie ermöglicht die Messung und Beurteilung der Lungenfunktion, indem sie das Atemvolumen und den Luftstrom misst. Diese Daten sind entscheidend für die Diagnose und das Management einer Vielzahl von Atemwegserkrankungen wie Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und interstitielle Lungenerkrankungen.

Messparameter der Spirometrie

Die Spirometrie liefert wichtige Parameter, die zur Diagnose und Überwachung von Atemwegserkrankungen verwendet werden. Die wichtigsten Messparameter der Spirometrie umfassen:

Forced Vital Capacity (FVC)

  • Definition
    ➜ Das Gesamtvolumen der Luft, das nach einer maximalen Einatmung mit maximaler Anstrengung ausgeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Ein reduzierter FVC-Wert kann auf restriktive Lungenerkrankungen hinweisen, bei denen das Lungenvolumen eingeschränkt ist.

Forced Expiratory Volume in One Second (FEV1)

  • Definition
    ➜ Das Volumen der Luft, das in der ersten Sekunde einer forcierten Ausatmung ausgeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Ein verminderter FEV1-Wert ist charakteristisch für obstruktive Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD.

FEV1/FVC-Verhältnis

  • Definition
    ➜ Das Verhältnis des FEV1 zur FVC, ausgedrückt als Prozentsatz.
  • Bedeutung
    ➜ Ein Verhältnis unter 0.7 deutet auf eine obstruktive Atemwegserkrankung hin. Ein normales oder erhöhtes Verhältnis bei reduziertem FVC kann auf eine restriktive Erkrankung hinweisen.

Peak Expiratory Flow (PEF)

  • Definition
    ➜ Die maximale Geschwindigkeit, mit der Luft während einer forcierten Ausatmung ausgeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Ein niedriger PEF-Wert kann auf eine Obstruktion der Atemwege hinweisen.

Forced Expiratory Flow (FEF) 25-75%

  • Definition
    ➜ Der durchschnittliche Fluss der ausgeatmeten Luft zwischen 25% und 75% der FVC.
  • Bedeutung
    ➜ Dieser Parameter ist sensibel für frühzeitige Veränderungen in den kleinen Atemwegen und kann eine obstruktive Erkrankung anzeigen, auch wenn FEV1 und FEV1/FVC noch normal sind.

Inspiratory Vital Capacity (IVC)

  • Definition
    ➜ Das Volumen der Luft, das nach maximaler Ausatmung bei maximaler Anstrengung eingeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Ein reduzierter IVC kann auf restriktive Lungenerkrankungen hinweisen.

Maximal Voluntary Ventilation (MVV)

  • Definition
    ➜ Das maximale Volumen der Luft, das in einer festgelegten Zeit (meist 12 Sekunden) bei maximaler Anstrengung eingeatmet und ausgeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Ein niedriger MVV-Wert kann auf eine reduzierte Lungen- oder Atemmuskelkapazität hinweisen.

Slow Vital Capacity (SVC)

  • Definition
    ➜ Das Volumen der Luft, das bei einer langsamen, maximalen Ausatmung nach einer maximalen Einatmung ausgeatmet werden kann.
  • Bedeutung
    ➜ Vergleiche zwischen SVC und FVC können helfen, eine Obstruktion der Atemwege zu identifizieren, insbesondere bei Verdacht auf eine dynamische Atemwegsobstruktion.

Beispiel für eine Spirometrie-Messung und deren Interpretation

Messwerte

  • FVC: 3.0 Liter (Sollwert: 4.0 Liter, 75% des Sollwertes)
  • FEV1: 1.8 Liter (Sollwert: 3.2 Liter, 56% des Sollwertes)
  • FEV1/FVC: 60%
  • PEF: 5.0 Liter/sek (Sollwert: 9.0 Liter/sek, 56% des Sollwertes)
  • FEF 25-75%: 1.2 Liter/sek (Sollwert: 3.0 Liter/sek, 40% des Sollwertes)

Interpretation

Die Spirometrie-Ergebnisse zeigen eine Reduktion sowohl in FVC als auch in FEV1, mit einem FEV1/FVC-Verhältnis von 60%, was auf eine obstruktive Atemwegserkrankung hinweist. Der PEF und FEF 25-75% sind ebenfalls reduziert, was die Obstruktion der Atemwege bestätigt. Diese Ergebnisse könnten auf eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) hinweisen.

Bedeutung und Anwendung der Messparameter

Diagnostische Anwendung:

  • Obstruktive Lungenerkrankungen
    ➜ Ein vermindertes FEV1/FVC-Verhältnis und reduzierte FEV1-Werte sind typisch für Asthma und COPD.
  • Restriktive Lungenerkrankungen
    ➜ Ein verminderter FVC-Wert bei normalem oder erhöhtem FEV1/FVC-Verhältnis deutet auf eine restriktive Erkrankung hin, wie z.B. Lungenfibrose.

Monitoring und Verlaufskontrolle:

  • Regelmäßige Spirometrie-Messungen helfen, den Krankheitsverlauf zu überwachen und die Wirksamkeit der Behandlung zu beurteilen.
  • Veränderungen in den Spirometrie-Werten können auf eine Verschlechterung oder Verbesserung der Lungenfunktion hinweisen.

Therapieanpassung:

Basierend auf den Spirometrie-Ergebnissen können Therapieentscheidungen getroffen werden, z.B. die Anpassung von Bronchodilatatoren oder inhalativen Kortikosteroiden.

Spirometrie
Eine spirometrische Untersuchung erfolgt mit Hilfe eines Spirometers

Durchführung der Spirometrie

Vorbereitung des Patienten

Vor der Durchführung einer Spirometrie ist es wichtig, den Patienten richtig vorzubereiten:

  • Anamnese
    ➜ Eine detaillierte Anamnese sollte erhoben werden, um Kontraindikationen wie kürzlich erfolgte Operationen, aktive Infektionen oder Herzprobleme auszuschließen.
  • Medikamentenanpassung
    ➜ Patienten sollten angewiesen werden, bestimmte Medikamente wie Bronchodilatatoren vor der Untersuchung abzusetzen, es sei denn, es handelt sich um einen reversibilitätstest.
  • Rauchen und Ernährung
    ➜ Patienten sollten mindestens eine Stunde vor dem Test nicht rauchen und keine schweren Mahlzeiten zu sich nehmen.

Durchführung des Tests

Der Test selbst besteht aus mehreren Schritten:

  • Instruktionen geben
    ➜ Der Patient sollte klare Anweisungen erhalten, wie der Test durchzuführen ist, einschließlich der Notwendigkeit maximaler Anstrengung bei der Ausatmung.
  • Messung
    ➜ Der Patient atmet zuerst normal ein und aus. Dann wird tief eingeatmet und anschließend so schnell und kräftig wie möglich ausgeatmet.
  • Wiederholung
    ➜ Der Test sollte mindestens dreimal wiederholt werden, um konsistente und zuverlässige Ergebnisse zu gewährleisten.

Interpretation der Ergebnisse

Die Ergebnisse der Spirometrie werden anhand von Referenzwerten interpretiert, die nach Alter, Geschlecht, Größe und ethnischer Zugehörigkeit variieren.

Normale Werte

  • FVC und FEV1
    ➜ Diese Werte sollten innerhalb der normalen Referenzbereiche liegen. Ein FEV1/FVC-Verhältnis über 0,7 ist in der Regel normal.

Obstruktive Lungenerkrankungen

  • Reduziertes FEV1/FVC-Verhältnis
    ➜ Ein Verhältnis unter 0,7 deutet auf eine Obstruktion hin.
  • Reversibilitätstest
    ➜ Nach der Verabreichung eines Bronchodilatators sollte eine signifikante Verbesserung des FEV1 (um mehr als 12% und 200 ml) beobachtet werden, um Asthma von COPD zu unterscheiden.

Restriktive Lungenerkrankungen

  • Reduziertes FVC bei normalem oder erhöhtem FEV1/FVC-Verhältnis
    ➜ Dies deutet auf eine Einschränkung der Lungenvolumina hin.

Klinische Indikationen

Die Spirometrie ist in verschiedenen klinischen Szenarien von unschätzbarem Wert:

  • Diagnose von Asthma und COPD
    • Spirometrie ist entscheidend für die Diagnose und Differenzierung zwischen diesen beiden häufigen Atemwegserkrankungen.
  • Überwachung der Krankheitsprogression
    • Regelmäßige Spirometriemessungen helfen, den Verlauf von chronischen Lungenerkrankungen zu überwachen und die Wirksamkeit von Behandlungsstrategien zu beurteilen.
  • Präoperative Beurteilung
    • Spirometrie wird verwendet, um das Risiko von Komplikationen bei Patienten mit bekannten Lungenerkrankungen vor chirurgischen Eingriffen zu bewerten.

Fallstricke und Herausforderungen

Obwohl die Spirometrie ein wertvolles diagnostisches Werkzeug ist, gibt es einige Fallstricke:

  • Patientencompliance
    • Der Erfolg des Tests hängt stark von der Fähigkeit des Patienten ab, die Anweisungen korrekt zu befolgen.
  • Technische Fehler
    • Unzureichende Kalibrierung des Spirometers oder unsachgemäße Durchführung des Tests können die Ergebnisse verfälschen.
  • Interpretation
    • Die Interpretation der Ergebnisse erfordert Erfahrung und Kenntnis der normalen und pathologischen Referenzwerte.

Fallbeispiel: Spirometrie

Patientenvorstellung

  • Name: Herr Müller
  • Alter: 65 Jahre
  • Beruf: Pensionierter Bauarbeiter
  • Raucherstatus: Ehemaliger Raucher (40 Packungsjahre)
  • Vorgeschichte: Chronischer Husten und Dyspnoe bei Belastung seit mehreren Jahren.

Anamnese

Herr Müller berichtet über eine zunehmende Atemnot bei alltäglichen Aktivitäten und einen produktiven Husten, besonders morgens. Er hat in den letzten Monaten eine Abnahme seiner körperlichen Leistungsfähigkeit bemerkt. Seine Krankengeschichte beinhaltet keine schweren Lungenerkrankungen, jedoch mehrere Episoden von Bronchitis. Er gibt an, vor fünf Jahren mit dem Rauchen aufgehört zu haben, nachdem er 40 Jahre lang täglich eine Packung Zigaretten geraucht hatte.

Klinische Untersuchung

Bei der körperlichen Untersuchung fällt eine verlängerte Exspirationsphase auf. Auskultatorisch sind diffuse expiratorische Rasselgeräusche zu hören. Es besteht ein leichter thorakaler Druck, jedoch keine offensichtliche Zyanose oder Trommelschlägelfinger.

Durchführung der Spirometrie

  1. Vorbereitung
    ➜ Herr Müller wird über den Ablauf der Spirometrie informiert. Es wird sichergestellt, dass er in den letzten 24 Stunden keine Bronchodilatatoren verwendet hat.
  2. Messung
    ➜ Herr Müller sitzt bequem, bekommt eine Nasenklammer aufgesetzt und hält das Mundstück des Spirometers fest zwischen den Lippen. Er wird angewiesen, tief einzuatmen und anschließend so schnell und kräftig wie möglich auszuatmen.
  3. Wiederholung
    ➜ Der Test wird dreimal wiederholt, um konsistente Ergebnisse zu gewährleisten.

Ergebnisse der Spirometrie

  • FVC (Forced Vital Capacity): 3.5 Liter (80% des Sollwertes)
  • FEV1 (Forced Expiratory Volume in one second): 1.8 Liter (50% des Sollwertes)
  • FEV1/FVC-Verhältnis: 0.51

Interpretation der Ergebnisse

Die Spirometrie-Ergebnisse zeigen eine deutliche Obstruktion der Atemwege, charakteristisch für eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Das FEV1/FVC-Verhältnis von 0.51 liegt deutlich unter dem Grenzwert von 0.7, was auf eine signifikante Obstruktion hinweist. Der reduzierte FEV1-Wert unterstützt die Diagnose einer COPD.

Weiterführende Maßnahmen

Reversibilitätstest

Um die Diagnose zu bestätigen und Asthma auszuschließen, wird ein Reversibilitätstest mit einem Bronchodilatator durchgeführt. Herr Müller inhaliert ein kurzwirksames Bronchodilatator und nach 15 Minuten wird die Spirometrie erneut durchgeführt. Der FEV1-Wert steigt auf 1.9 Liter (eine Verbesserung von 5.5%), was auf eine begrenzte Reversibilität hinweist und somit die Diagnose von COPD unterstützt.

Therapie

Basierend auf den Ergebnissen und den klinischen Symptomen wird ein Behandlungsplan erstellt, der Folgendes umfasst:

  • Medikation
    ➜ Langwirksame Bronchodilatatoren (LABA oder LAMA), eventuell kombiniert mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS).
  • Raucherentwöhnung
    ➜ Unterstützung zur Aufrechterhaltung des Nichtraucherstatus.
  • Lungenrehabilitation
    ➜ Atemphysiotherapie und körperliche Aktivität zur Verbesserung der Lungenfunktion und Lebensqualität.
  • Impfungen
    ➜ Pneumokokken- und Influenza-Impfungen zur Prävention von Infektionen.

Regelmäßige Kontrollen

Wiederholte Spirometrie-Messungen zur Überwachung des Krankheitsverlaufs und Anpassung der Therapie bei Bedarf.

Verlauf und Nachsorge

Nach sechs Monaten kehrt Herr Müller zur Nachkontrolle zurück. Er berichtet über eine deutliche Verbesserung der Symptomatik und eine gesteigerte körperliche Belastbarkeit. Die regelmäßige Anwendung der verordneten Medikation und die Teilnahme an einem Lungenrehabilitationsprogramm haben seine Lebensqualität erheblich verbessert. Die Spirometrie zeigt stabile Werte ohne signifikante Verschlechterung, was auf eine erfolgreiche Therapie und Krankheitsmanagement hinweist.

Zusammenfassung

Die Spirometrie ist ein unverzichtbares Werkzeug in der modernen Pneumologie, das eine präzise Diagnose und effektive Überwachung von Atemwegserkrankungen ermöglicht. Für medizinisches Fachpersonal ist es essenziell, die Prinzipien, Durchführung und Interpretation der Spirometrie zu beherrschen, um die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Regelmäßige Schulungen und Updates zu den neuesten Leitlinien und Technologien in der Spirometrie sind daher unerlässlich.

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