Epilepsie

Die Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle (in einer oder beider Hirnhälften) gekennzeichnet ist. Diese Anfälle resultieren aus abnormalen elektrischen Aktivitäten im Gehirn.
Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[epilɛˈpsiː]
Adjektiv:
epi­lep­tisch
Plural:
Epilepsien
Trennung:
Epi|lep|sie
Synonym:
Epilepsia, Fallsucht, Krampfleiden, Anfallsleiden
Englisch:
epilepsy
Abstammung:
griech.: ἐπίληψις (epílēpsis) = Angriff, latein.: epilepsia =Anfall
ICD-Klassifikation:
G40.–, G41
Med. Fachgebiet:

Die Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle resultieren aus abnormalen elektrischen Aktivitäten im Gehirn. In Deutschland leben schätzungsweise 500.000 bis 600.000 Menschen mit Epilepsie. Die Erkrankung erfordert eine sorgfältige Diagnose, Behandlung und ein interdisziplinäres Management, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Definition

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unkontrollierte neuronale Entladungen im Gehirn gekennzeichnet ist. Diese führen zu Anfällen, die sich in verschiedenen Formen äußern können, wie z. B. Krämpfen, Bewusstseinsverlust oder sensorischen Störungen. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von genetischen Faktoren bis zu Hirnverletzungen. Epilepsie erfordert in der Regel eine medikamentöse Behandlung zur Anfallskontrolle.

Epidemiologie

Epilepsie betrifft weltweit etwa 50 Millionen Menschen und gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Industrienationen liegt die Inzidenz bei etwa 50 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner jährlich. Die Prävalenz variiert regional, beträgt aber in den meisten Ländern etwa 0,5 bis 1 % der Bevölkerung. Epilepsie kann in jedem Alter auftreten, zeigt jedoch zwei Häufigkeitsgipfel: im Kindesalter und bei älteren Menschen. Ursachen reichen von genetischen Faktoren bis zu Hirnverletzungen oder Infektionen. In vielen Ländern ist die Versorgung begrenzt, was zu unzureichender Behandlung führt.

Klassifikation

Fokale Anfälle

Fokale Anfälle, auch als partielle Anfälle bekannt, sind eine Art von epileptischen Anfällen, die in einer spezifischen Region des Gehirns beginnen. Sie können sich auf eine Hirnhälfte beschränken oder sich sekundär generalisieren und beide Hirnhälften betreffen.

Fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung (Einfach fokale Anfälle)

  • Diese Anfälle betreffen nur einen kleinen Teil des Gehirns und beinhalten keine Bewusstseinsstörung. Der Patient bleibt während des Anfalls wach und aufmerksam.

Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung (Komplex fokale Anfälle)

  • Diese Anfälle beinhalten eine Bewusstseinsstörung. Der Patient ist während des Anfalls möglicherweise verwirrt oder reagiert nicht angemessen auf äußere Reize.

Fokale Anfälle mit sekundärer Generalisierung

  • Ein fokaler Anfall, der sich auf beide Hirnhälften ausbreitet und zu einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall führt.

Generalisierte Anfälle

Generalisierte Anfälle sind eine Form von epileptischen Anfällen, die von Anfang an beide Hirnhälften betreffen. Sie sind durch ein plötzliches, weit verbreitetes elektrisches Entladungsmuster im Gehirn gekennzeichnet und können verschiedene klinische Erscheinungsformen haben.

Absencen (Petit-Mal-Anfälle)

  • Merkmale
    ➜ Plötzliche, kurze Bewusstseinsverluste, die oft nur wenige Sekunden dauern. Der Patient starrt ins Leere und reagiert nicht auf äußere Reize.
  • Häufigkeit
    ➜ Mehrere Episoden pro Tag sind möglich.
  • Begleitsymptome
    ➜ Leichte motorische Phänomene wie Augenflattern oder leichte Muskelzuckungen.

Myoklonische Anfälle

  • Merkmale
    ➜ Plötzliche, kurze Muskelzuckungen, die meist symmetrisch auftreten. Diese Zuckungen sind oft sehr kurz und abrupt.
  • Betroffene Muskeln
    ➜ Meist Arme, Schultern und gelegentlich die Beine.

Klonische Anfälle

  • Merkmale
    ➜ Rhythmische, wiederholte Muskelzuckungen oder -krämpfe, die sich über mehrere Sekunden oder Minuten erstrecken.
  • Häufigkeit
    ➜ Kann während des Anfalls periodisch auftreten.

Tonische Anfälle

  • Merkmale
    ➜ Plötzliche Muskelversteifungen, die typischerweise im ganzen Körper auftreten. Dies führt häufig zu Stürzen und Verletzungen.
  • Dauer
    ➜ Kann mehrere Sekunden bis Minuten anhalten.

Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle)

  • Merkmale
    ➜ Kombination von tonischen und klonischen Phasen. Beginnt mit einer plötzlichen Muskelversteifung (tonische Phase), gefolgt von rhythmischen Muskelzuckungen (klonische Phase).
  • Dauer
    ➜ Der Anfall dauert typischerweise 1-3 Minuten.
  • Begleitsymptome
    ➜ Bewusstseinsverlust, Zungenbisse, Inkontinenz.

Atonische Anfälle

  • Merkmale
    ➜ Plötzlicher Verlust des Muskeltonus, was zu Stürzen oder dem „Zusammenklappen“ des Körpers führen kann.
  • Dauer
    ➜ Typischerweise sehr kurz, nur wenige Sekunden.

Unklassifizierte Anfälle

Unklassifizierte Anfälle bei Epilepsie sind solche Anfälle, die nicht eindeutig als fokale oder generalisierte Anfälle eingestuft werden können. Diese Kategorie kann verwendet werden, wenn der Anfall atypische Merkmale aufweist oder wenn nicht genügend Informationen vorliegen, um eine spezifische Klassifikation zu ermöglichen.

Besondere Anfallsformen

Aura

Eine Aura bei Epilepsie ist ein Frühwarnzeichen, das manche Patienten vor einem epileptischen Anfall erleben. Sie ist ein fokaler Anfall, der oft ohne Bewusstseinsstörung auftritt und als Vorläufer eines größeren Anfalls (z.B. eines komplexen fokalen oder generalisierten Anfalls) dienen kann.

Status epilepticus

Beim Status epilepticus (SE) handelt es sich um einen neurologischen Notfall, der durch anhaltende (> 5 Minuten) oder wiederholte epileptische Anfälle (innerhalb von 30 Minuten) gekennzeichnet ist, die ohne vollständige Erholung dazwischen auftreten. Dies erfordert sofortige medizinische Intervention, um das Risiko von dauerhaften Hirnschäden oder Tod zu minimieren.

Tonisch-klonische Anfälle wurden früher als „Grand mal“, Absencen als „Petit mal“ bezeichnet

Epileptischer Anfall
Während eines Anfalls sollte der Kopf des Patienten gegen Verletzungen geschützt werden.

Ätiologie

Epilepsie kann zahlreiche Ursachen haben, darunter:

  • Genetische Faktoren
    • Erbliche Disposition und genetische Mutationen.
  • Strukturelle Ursachen
    • Hirnverletzungen, Tumoren, Fehlbildungen.
  • Infektionen
    • Meningitis, Enzephalitis.
  • Metabolische Störungen
  • Elektrolytimbalancen, Hypoglykämie.
  • Immunologische Ursachen
    • Autoimmunerkrankungen.

Symptome und Komplikationen

Fokale Anfälle

Fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung (Einfach fokale Anfälle)

Abhängig von der betroffenen Hirnregion können die Symptome motorisch, sensorisch, autonom oder psychisch sein.

  • Motorische Symptome
    ➜ Muskelzuckungen, klonische Bewegungen in einem Teil des Körpers, z.B. in einem Arm oder Bein.
  • Sensorische Symptome
    ➜ Abnormale Empfindungen wie Kribbeln, Taubheit oder ungewöhnliche Sinneswahrnehmungen (z.B. visuelle, auditorische Halluzinationen).
  • Autonome Symptome
    ➜ Veränderungen der autonomen Funktionen, z.B. Schweißausbrüche, Übelkeit, Blässe.
  • Psychische Symptome
    ➜ Plötzliche emotionale Veränderungen, Déjà-vu-Erlebnisse, Angstzustände.

Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung (Komplex fokale Anfälle)

Häufig beginnen die Anfälle mit einer Aura (eine Vorwarnung, die als einfacher fokaler Anfall auftritt) und entwickeln sich zu einem Bewusstseinsverlust.

  • Automatismen
    ➜ Unwillkürliche, stereotype Bewegungen wie Schmatzen, Händereiben, Kauen oder ziellose Bewegungen.
  • Bewusstseinsstörungen
    ➜ Eingeschränktes Bewusstsein, der Patient kann sich nach dem Anfall oft nicht an das Ereignis erinnern.

Fokale Anfälle mit sekundärer Generalisierung

  • Der Anfall beginnt mit fokalen Symptomen (wie oben beschrieben) und entwickelt sich dann zu einem typischen generalisierten Anfall mit Muskelversteifungen und Zuckungen.

Generalisierte Anfälle

  • Symptome
    ➜ Je nach Anfallstyp variieren die Symptome stark. Sie reichen von kurzen Bewusstseinsverlusten (Absencen) über plötzliche Muskelzuckungen (Myoklonien) bis hin zu schweren motorischen Manifestationen (tonisch-klonische Anfälle), Zungenbissen und Inkontinenz.
  • Komplikationen
    ➜ Verletzungen durch Stürze, Aspiration, Zungenbisse, Status epilepticus (ein medizinischer Notfall, bei dem Anfälle länger als 5 Minuten andauern oder in schneller Folge auftreten).

Unklassifizierte Anfälle

  • Gemischte Merkmale
    ➜ Kombination von Symptomen, die sowohl für fokale als auch für generalisierte Anfälle typisch sind.Unklare Beginnphase, die eine genaue Bestimmung des Ursprungs im Gehirn erschwert.
  • Atypische Symptome
    ➜ Symptome, die nicht den üblichen Präsentationen von Epilepsie entsprechen, wie untypische Bewegungsmuster, sensorische Veränderungen oder Verhaltensänderungen.
  • Unspezifische oder vage Symptome
    ➜ Allgemeine oder unspezifische Beschwerden wie Schwindel, Verwirrung oder vorübergehende Bewusstseinsstörungen, die nicht klar einem bestimmten Anfallstyp zugeordnet werden können.

Diagnostik

Anamnese und klinische Untersuchung

  • Detaillierte Erhebung der Anfallsgeschichte durch Befragung des Patienten und von Augenzeugen.
  • Beschreibung der Anfallssymptome, der Dauer, des Verlaufs und möglicher Auslöser.

Elektroenzephalographie (EEG)

  • Erfassung der elektrischen Aktivität des Gehirns zur Identifikation von epileptiformen Mustern.
  • Langzeit-EEG und Video-EEG zur Aufzeichnung und Analyse von Anfällen.
  • Erkennung epileptiformer Muster und korrelierender klinischer Symptome.

Bildgebende Verfahren

  • Magnetresonanztomographie (MRT) zur Identifizierung struktureller Anomalien.
  • Computertomographie (CT) als Alternative bei Kontraindikationen für MRT.
  • Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) zur Beurteilung der Hirnaktivität zwischen den Anfällen.

Laboruntersuchungen

  • Bluttests zur Erkennung von metabolischen Störungen, Infektionen und genetischen Ursachen.

Therapie

Notfallmanagement

  • Akute Anfallsbehandlung
    ➜ Verwendung von Notfallmedikamenten wie Benzodiazepinen (z.B. Diazepam, Lorazepam) zur Beendigung anhaltender Anfälle.
  • Status epilepticus
    ➜ Sicherstellung der Atemwege, Atmung und Kreislauf (ABC-Regel), Seitenlage des Patienten (Verhinderung einer Aspiration)

Medikamentöse Therapie

  • Antikonvulsiva
    ➜ Erste Wahl zur Anfallskontrolle. Zu den häufig verwendeten Medikamenten gehören Levetiracetam, Lamotrigin, Valproinsäure, Carbamazepin und Oxcarbazepin.
  • Therapiewahl
    ➜ Abhängig von Anfallstyp, Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und Nebenwirkungsprofil.
  • Therapiekontrolle
    ➜ Regelmäßige Überprüfung der Medikamentenspiegel im Blut und Anpassung der Dosierung.

Chirurgische Therapie

  • Indiziert bei Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie und fokalen Anfällen, die auf eine bestimmte Hirnregion zurückzuführen sind.
  • Verfahren
    ➜ Resektive Chirurgie (Entfernung des Anfallsfokus), Kallosotomie, Laser-Ablation.

Neuromodulation

  • Vagusnervstimulation (VNS)
    ➜ Implantation eines Geräts, das den Vagusnerv stimuliert und Anfälle reduziert.
  • Tiefe Hirnstimulation (DBS)
    ➜ Stimulation bestimmter Hirnregionen zur Anfallskontrolle.

Diätetische Therapie

  • Ketogene Diät
    ➜ Hochfett-, kohlenhydratarme Diät, die in speziellen Fällen zur Anfallskontrolle eingesetzt wird.

CAVE: Einer krampfenden Person sollten niemals Finger oder Gegenstände (z.B. Mundkeile) in den Mund geschoben werden. Finger können abgebissen werden, Keile können splittern und die Bruchstücke vom Patienten eingeatmet werden.

Pflege bei Epilepsie

Die Pflege von Patienten mit Epilepsie erfordert ein fundiertes Wissen über die Erkrankung, ihre Symptome, Auslöser und Behandlungsmöglichkeiten, um eine optimale Betreuung und Unterstützung zu gewährleisten.

Zusammenfassung

Epilepsie ist eine komplexe neurologische Erkrankung, die eine multidisziplinäre Herangehensweise erfordert. Eine genaue Diagnose, individuelle Therapieplanung und umfassende pflegerische Unterstützung sind entscheidend für die effektive Behandlung und das Wohlbefinden der Patienten. Durch kontinuierliche Weiterbildung und interdisziplinäre Zusammenarbeit kann medizinisches Personal dazu beitragen, die Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie erheblich zu verbessern.

Bei diesem Artikel handelt es sich um ein Gesundheitsthema. Er dient weder der Selbstdiagnose noch ersetzt er eine Diagnose durch einen Arzt. Bitte zusätzlich den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!

Quellen

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  • Blümcke, I., Sander, T., & Stefan, H. (2018). Epilepsy in Neurology and Neurosurgery: A Comprehensive Guide. Elsevier.
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  • Carter, R. (2019) Das Gehirn: Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. Aktualisierte Neuausgabe. München: Dorling Kindersley.
  • Andreae, S. (Hrsg.). (2008). Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen (2. Aufl.). Thieme.
  • Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. (DGfE). (2023). Informationen zu Epilepsie. Verfügbar unter: https://www.dgfe.info/ (Zugegriffen: 7. Juli 2024).
  • pilepsie Bundes-Elternverband e.V. (2023). Epilepsie-elternverband.de. Verfügbar unter: https://www.epilepsie-elternverband.de (Zugegriffen: 7. Juli 2024).