Polyurie

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[poliʔuˈʁiː]
Adjektiv:
polyurisch
Plural:
Polyurien
Trennung:
Po|ly|urie
Gegenteil:
Oligurie
Englisch:
polyuria
Abstammung:
griech.: polys = viel, ouron = Harn
ICD-Klassifikation:
R35.0
Med. Fachgebiet:

Polyurie ist ein häufiges klinisches Symptom, das durch eine übermäßige Urinausscheidung charakterisiert ist. Es ist ein Zustand, der sowohl in der allgemeinen Bevölkerung als auch bei Patienten mit chronischen Erkrankungen auftritt und kann erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität haben.

Definition

Polyurie wird allgemein definiert als eine Urinausscheidung von mehr als 3 Litern pro Tag bei Erwachsenen. Bei Kindern kann die Definition altersabhängig variieren. Es ist wichtig, Polyurie von anderen Zuständen wie Pollakisurie (häufiger Harndrang mit kleinen Urinmengen) zu unterscheiden.

Physiologische Urinmenge eines Erwachsenen pro Tag: 0,8 bis 2,0 Liter

Epidemiologie

Polyurie ist ein Symptom, das in verschiedenen Populationen auftritt, wobei die Prävalenz je nach zugrunde liegender Ursache und Population variiert. Es ist besonders häufig bei Patienten mit Diabetes mellitus, bei denen die Polyurie oft eines der ersten Symptome der Krankheit ist. Auch in der geriatrischen Population und bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz tritt Polyurie häufig auf.

Ätiologie

Die Ursachen der Polyurie sind vielfältig und können in drei Hauptkategorien unterteilt werden: primäre Polydipsie, osmotische Diurese und antidiuretisches Hormon (ADH)-Störungen.

Primäre Polydipsie

Primäre Polydipsie, auch als psychogene Polydipsie bekannt, ist eine der häufigsten Ursachen für Polyurie. Sie ist gekennzeichnet durch übermäßiges Trinken, das oft durch psychische Störungen wie Schizophrenie oder Angststörungen verursacht wird. Die übermäßige Flüssigkeitsaufnahme überfordert die Fähigkeit der Nieren, Wasser zu reabsorbieren, was zu einer erhöhten Urinausscheidung führt.

Mechanismen

  • Verhaltensbedingte Wasseraufnahme
    ➜ Patienten trinken große Mengen Wasser ohne physiologischen Bedarf.
  • Psychische Störungen
    ➜ Häufig bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, die durch Zwang oder Angst zu übermäßigem Trinken neigen.

Osmotische Diurese

Osmotische Diurese tritt auf, wenn eine erhöhte Konzentration osmotisch aktiver Substanzen im Urin eine vermehrte Wasserausscheidung verursacht. Dies ist insbesondere bei Diabetes mellitus der Fall, bei dem hohe Blutzuckerspiegel zu einer Glukoseausscheidung im Urin führen, die Wasser nach sich zieht.

Bedingungen und Mechanismen

  • Diabetes mellitus
    ➜ Unkontrollierter Blutzucker führt zu hoher Glukosekonzentration im Urin, was eine osmotische Diurese verursacht.
  • Nierenerkrankungen
    ➜ Verschiedene Nierenerkrankungen können die Fähigkeit der Nieren beeinträchtigen, Elektrolyte zu reabsorbieren, was ebenfalls zu osmotischer Diurese führen kann.
  • Hyperkalzämie
    ➜ Hohe Kalziumspiegel im Blut können die Nierentubuli schädigen und die Fähigkeit der Nieren, Wasser zu reabsorbieren, beeinträchtigen.

ADH-Störungen

Das antidiuretische Hormon (ADH), auch Vasopressin genannt, spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Wasserausscheidung in den Nieren. Störungen im ADH-System können zu zwei Hauptformen von Diabetes insipidus führen: zentraler und nephrogener Diabetes insipidus.

Zentraler Diabetes insipidus

Zentraler Diabetes insipidus ist durch einen Mangel an ADH aufgrund einer Schädigung des Hypothalamus oder der Hypophyse gekennzeichnet. Diese Schäden können durch Tumore, Traumta, Infektionen oder genetische Störungen verursacht werden.

Nephrogener Diabetes insipidus

Nephrogener Diabetes insipidus tritt auf, wenn die Nieren nicht auf ADH ansprechen. Dies kann durch genetische Mutationen, chronische Nierenerkrankungen oder durch die Verwendung bestimmter Medikamente wie Lithium verursacht werden.

Bedingungen und Mechanismen

  • Hypophysen- und Hypothalamusstörungen
    ➜ Tumore, Verletzungen oder Infektionen, die die Produktion oder Freisetzung von ADH beeinträchtigen.
  • Genetische Defekte
    ➜ Mutationen, die die ADH-Synthese oder -Reaktion beeinflussen.
  • Medikamente
    ➜ Einige Medikamente, insbesondere Lithium, können die Fähigkeit der Nierenzellen beeinträchtigen, auf ADH zu reagieren.

Weitere Ursachen

Neben den Hauptkategorien gibt es noch andere spezifische Zustände und Faktoren, die Polyurie verursachen können:

  • Akute Niereninsuffizienz
    ➜ In der polyurischen Phase kann es zu einer erhöhten Urinausscheidung kommen, wenn sich die Nierenfunktion erholt.
  • Postobstruktive Diurese
    ➜ Nach der Behebung einer Harnwegsobstruktion kann es zu einer erhöhten Urinausscheidung kommen.
  • Hyperaldosteronismus
    ➜ Überproduktion von Aldosteron kann zu einer erhöhten Ausscheidung von Kalium und Wasser führen.

Diagnostik

Die Diagnostik der Polyurie umfasst:

  1. Anamnese und körperliche Untersuchung
    • Erfassung der Krankengeschichte und Untersuchung auf Anzeichen von Dehydratation oder zugrunde liegenden Erkrankungen.
  2. Labortests
    • Serum- und Urinosmolalität
    • Elektrolyte
    • Blutzucker
    • Harnstoff und Kreatinin
  3. Speziellen Tests
    • Wasserentzugstest zur Differenzierung von Diabetes insipidus und primärer Polydipsie.
    • ADH-Tests zur Beurteilung der ADH-Funktion.

Therapie

Die Behandlung der Polyurie richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache:

  • Diabetische Polyurie
    • Strikte Blutzuckerkontrolle ist entscheidend.
  • Psychogene Polydipsie
    • Psychotherapeutische Maßnahmen und Verhaltenstherapie können helfen.
  • Diabetes insipidus:
    • Zentral: ADH-Analoga wie Desmopressin.
    • Nephrogen: Thiaziddiuretika und salzarme Diät.
  • Medikamenteninduzierte Polyurie
    • Anpassung oder Absetzen der auslösenden Medikamente.

Zusammenfassung

Polyurie ist ein komplexes Symptom, das viele mögliche Ursachen haben kann. Eine sorgfältige Anamnese, gezielte Labordiagnostik und spezifische Tests sind notwendig, um die genaue Ursache zu identifizieren und eine angemessene Therapie zu ermöglichen. Die Behandlung sollte individuell angepasst werden, um die Lebensqualität der betroffenen Patienten zu verbessern.

Bei diesem Artikel handelt es sich um ein Gesundheitsthema. Er dient weder der Selbstdiagnose noch ersetzt er eine Diagnose durch einen Arzt. Bitte zusätzlich den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten!

Quellen

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