Die Geschichte der Triage ist eng mit der Entwicklung der Medizin und den Herausforderungen der Kriegsführung verbunden. Die Triage als formalisierte Praxis hat ihren Ursprung im militärischen Kontext, doch ihre Prinzipien und Methoden haben sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und finden heute weltweit Anwendung in verschiedenen medizinischen Szenarien.
Ursprünge im Militär
Die Ursprünge der Triage liegen tief verwurzelt in der Militärmedizin, wo das Konzept erstmals systematisch angewendet wurde, um die Effizienz der medizinischen Versorgung auf dem Schlachtfeld zu verbessern. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert, während der napoleonischen Kriege und der darauffolgenden militärischen Konflikte, entwickelte sich die Triage zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Kriegsmedizin.
Die napoleonischen Kriege und Dominique Jean Larrey
Einer der bedeutendsten Pioniere der Triage war Dominique Jean Larrey (1766 – 1842), der als Chefchirurg in Napoleons Armee diente. Larrey erkannte, dass die traditionelle Praxis, Verwundete nach ihrem militärischen Rang und nicht nach der Dringlichkeit ihrer Verletzungen zu behandeln, ineffizient und ungerecht war. Er führte ein neues System ein, das die Priorisierung der Behandlung basierend auf der Schwere der Verletzungen vorsah, unabhängig vom Rang des Soldaten.
Innovationen von Larrey
- Fliegende Ambulanz (Ambulance Volante)
➜ Larrey entwickelte mobile chirurgische Einheiten, die als „fliegende Ambulanzen“ bekannt wurden. Diese Einheiten konnten nahe an den Schlachtfeldern operieren und schnell auf Verwundete zugreifen, was die Zeit bis zur ersten medizinischen Versorgung erheblich verkürzte. Diese Ambulanzen bestanden aus leichten Karren, die von Pferden gezogen wurden und mit grundlegenden chirurgischen Instrumenten ausgestattet waren. - Priorisierung der Behandlung (Triage)
➜ Larrey etablierte das Prinzip, dass die am schwersten Verwundeten zuerst behandelt werden sollten, unabhängig von ihrem militärischen Rang. Dieses Prinzip stand im Gegensatz zur damaligen Praxis und war revolutionär in der militärischen Medizin. Es basierte auf der Überzeugung, dass eine schnelle medizinische Intervention die Überlebenschancen erheblich verbessern würde.
Der Amerikanische Bürgerkrieg
Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 – 1865) bot ein weiteres historisches Beispiel für die Anwendung und Weiterentwicklung der Triage. Jonathan Letterman, der als medizinischer Direktor der Armee des Potomac diente, wird oft als der „Vater der Schlachtfeldmedizin“ bezeichnet. Letterman führte systematische Methoden ein, um die Effizienz der medizinischen Versorgung zu verbessern.
Beitrag von Letterman
- Organisierte Sanitätssysteme
➜ Letterman implementierte ein organisiertes Sanitätssystem, das die Evakuierung und Behandlung der Verwundeten standardisierte. Er teilte den Prozess in drei Stufen ein: Erstversorgung auf dem Schlachtfeld, weitere Behandlung in Feldlazaretten und endgültige Versorgung in festen Krankenhäusern. - Ambulanzkorps
➜ Letterman gründete ein Ambulanzkorps, das für den Transport der Verwundeten zuständig war. Diese Einheiten waren speziell ausgebildet und ausgerüstet, um Verwundete schnell und effizient von den Schlachtfeldern zu evakuieren. Dies trug erheblich zur Reduzierung der Sterblichkeitsrate bei.
Der Erste Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) wurde die Triage weiter verfeinert und systematisiert. Die enormen Verluste und die neuen Arten von Verletzungen durch moderne Waffen erforderten eine schnelle und effiziente medizinische Reaktion.
Weiterentwicklungen im Ersten Weltkrieg
- Verbandplätze und Feldlazarette
➜ Verletzte Soldaten wurden zunächst zu Verbandplätzen nahe der Front gebracht, wo sie eine erste medizinische Versorgung erhielten. Schwerverletzte wurden dann zu Feldlazaretten weitergeleitet, wo spezialisierte chirurgische Eingriffe durchgeführt werden konnten. - Dreistufiges Triage-System
➜ Ein dreistufiges Triage-System wurde entwickelt, um die Verwundeten nach der Dringlichkeit ihrer medizinischen Bedürfnisse zu kategorisieren: sofortige chirurgische Eingriffe, dringende aber nicht lebensbedrohliche Fälle und weniger dringende Fälle.
Der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit
Während des Zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) und in den Jahren danach wurde die Triage weiter verbessert und standardisiert. Die Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen führten zu einer systematischen Ausbildung von Militärärzten und Sanitätern in Triage-Techniken.
Moderne Entwicklungen
- Einheitliche Triage-Richtlinien
➜ Einheitliche Triage-Richtlinien wurden entwickelt und in die Ausbildung von Militärärzten und Sanitätern integriert. Diese Richtlinien wurden auf Grundlage der Erfahrungen aus den Kriegen und aktuellen medizinischen Erkenntnissen ständig weiterentwickelt (Bailey, 1945). - Technologische Fortschritte
➜ Fortschritte in der Medizin und Technologie, wie die Einführung von Bluttransfusionen und Antibiotika, verbesserten die Überlebenschancen der Verwundeten und beeinflussten die Triage-Entscheidungen erheblich (Wangensteen und Wangensteen, 1978).
Weiterentwicklung im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert wurde die Triage weiterentwickelt, insbesondere während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865). Das Sanitätssystem der Union, unter der Leitung von Dr. Jonathan Letterman, implementierte eine systematische Triage, um die große Anzahl von Verwundeten effizient zu versorgen. Dies umfasste die Einrichtung von Feldlazaretten in der Nähe der Schlachtfelder und die schnelle Evakuierung der Verwundeten zur weiteren Behandlung (Gawande, 2004).
Einführung in zivile Notfälle
Die Prinzipien der Triage wurden im 20. Jahrhundert zunehmend auf zivile Notfallsituationen übertragen. Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) und des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) wurden Triage-Systeme weiter verfeinert, um die Behandlung von Verwundeten auf den Schlachtfeldern zu optimieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Krankenhäuser und Rettungsdienste in zivilen Notfällen, Triage-Systeme zu übernehmen, insbesondere in überlasteten Notaufnahmen (Jenkins et al., 2008).
Moderne Triage-Systeme
In den letzten Jahrzehnten haben sich verschiedene formalisierte Triage-Systeme entwickelt, die in Krankenhäusern und bei Katastrophen weltweit verwendet werden. Zu den bekanntesten gehören:
- START (Simple Triage and Rapid Treatment)
- Entwickelt in den 1980er Jahren in Kalifornien, USA, für die Verwendung bei Massenunfällen. START kategorisiert Patienten in vier Gruppen: Rot (sofortige Behandlung), Gelb (verzögerte Behandlung), Grün (geringfügige Verletzungen) und Schwarz (nicht überlebensfähig) (Kahn et al., 2009).
- Manchester Triage System (MTS)
- Entwickelt in den 1990er Jahren in Großbritannien, wird das MTS in vielen Notaufnahmen weltweit verwendet. Es ordnet Patienten in fünf Dringlichkeitsstufen ein, von sofortiger Behandlung (Rot) bis hin zu nicht dringlich (Blau) (Mackway-Jones et al., 2006).
- Emergency Severity Index (ESI)
- Ein weiteres weit verbreitetes System, das Patienten in fünf Stufen einteilt, basierend auf der Schwere ihrer Erkrankung und den benötigten Ressourcen. Es wurde in den 1990er Jahren in den USA entwickelt (Gilboy et al., 2012).
Triage in Pandemien
Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der Triage in der modernen Medizin erneut unterstrichen. Während der Pandemie mussten Krankenhäuser weltweit Triage-Protokolle implementieren, um die knappen Ressourcen wie Intensivpflegebetten und Beatmungsgeräte effizient zu verwalten. Triage-Entscheidungen wurden oft basierend auf der Schwere der Erkrankung und der Prognose der Patienten getroffen, um die bestmögliche Nutzung der verfügbaren Ressourcen zu gewährleisten (Emanuel et al., 2020).
Zusammenfassung
Die Geschichte der Triage zeigt eine kontinuierliche Entwicklung und Anpassung an die Bedürfnisse der medizinischen Versorgung in Kriegs- und Friedenszeiten. Von den frühen militärischen Anfängen bis hin zu den komplexen Systemen, die heute weltweit verwendet werden, hat die Triage einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Effizienz und zur Rettung von Leben geleistet. Die ständige Weiterentwicklung und Anpassung der Triage-Systeme wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der Notfallmedizin spielen.
Quellen
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- Gawande, A. (2004) ‚Casualties of war — military care for the wounded from Iraq and Afghanistan‘, New England Journal of Medicine, 351(24), pp. 2471-2475.
- Gilboy, N., et al. (2012) ‚Emergency Severity Index (ESI): a triage tool for emergency department care‘, Journal of Emergency Nursing, 38(3), pp. 271-282.
- Iserson, K.V. und Moskop, J.C. (2007) ‚Triage in medicine, part I: Concept, history, and types‘, Annals of Emergency Medicine, 49(3), pp. 275-281.
- Jenkins, J.L., et al. (2008) ‚Mass-casualty triage: time for an evidence-based approach‘, Prehospital and Disaster Medicine, 23(1), pp. 3-8.
- Kahn, C.A., et al. (2009) ‚Does START triage work? An outcomes assessment after a disaster‘, Annals of Emergency Medicine, 54(3), pp. 424-430.
- Mackway-Jones, K., et al. (2006) ‚The Manchester Triage System‘, BMJ, 332(7546), pp. 1173-1174.
- Adams, G.B. (2008) ‚Doctors in Blue: The Medical History of the Union Army in the Civil War‘, Louisiana State University Press.
- Bailey, H. (1945) ‚Surgery of Modern Warfare‘, Charles C Thomas Publisher.
- Bull, W. (1920) ‚First Aid in the Trenches‘, British Medical Journal, 1(3083), pp. 60-62.
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- Iserson, K.V. und Moskop, J.C. (2007) ‚Triage in medicine, part I: Concept, history, and types‘, Annals of Emergency Medicine, 49(3), pp. 275-281.
- Larrey, D.J. (1812) ‚Memoirs of Military Surgery and Campaigns of the French Armies‘, translated by R. W. Hall, Baltimore: Joseph Cushing.