Von der normalen Zelle zur Tumorzelle

Verstehen, wie Krebs entsteht: Von der gesunden Zelle zur Tumorzelle

Ein Tumor entsteht, wenn normale Zellen durch genetische Mutationen außer Kontrolle geraten. Unreguliertes Wachstum führt zur Bildung von Krebszellen, die den Körper infiltrieren und sich unkontrolliert vermehren.
Medizin 6 Minuten

Die Entstehung einer Tumorzelle, also der Vorgang, der zu Krebs führt, ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der auf molekularer Ebene abläuft. Er lässt sich jedoch in mehrere grundlegende Schritte unterteilen. Um diesen Prozess besser zu verstehen, müssen wir uns mit der Rolle der Gene, der Zellteilung und den Mechanismen befassen, die normalerweise das Wachstum von Zellen regulieren.

Normales Zellverhalten und genetische Kontrolle

In einem gesunden Organismus teilen sich die Zellen kontrolliert und geordnet. Das Erbgut in jeder Zelle, also die DNA, enthält Baupläne für verschiedene Proteine, die wiederum Funktionen im Körper erfüllen. Zwei Hauptkategorien von Genen spielen hierbei eine entscheidende Rolle: Onkogene und Tumorsuppressorgene.

  • Onkogene sind Gene, die das Zellwachstum und die Zellteilung fördern. Normalerweise befinden sich diese Gene in einem inaktiven oder regulierten Zustand. Wenn sie jedoch aktiviert oder verändert werden, können sie das Zellwachstum unkontrolliert anregen.
  • Tumorsuppressorgene hingegen sorgen dafür, dass das Zellwachstum gebremst und Schäden an der DNA repariert werden. Wenn diese Gene beschädigt oder deaktiviert werden, kann dies zu unkontrolliertem Zellwachstum führen.

Auslöser für DNA-Schäden

Krebs entsteht durch Mutationen in der DNA einer Zelle. Diese Mutationen können durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, die in zwei Kategorien unterteilt werden:

  • Exogene Faktoren
    ➜ Diese äußeren Einflüsse umfassen Umwelteinflüsse wie Chemikalien (z.B. im Tabakrauch), Strahlung (UV-Strahlung, Röntgenstrahlung) oder Krankheitserreger (wie Viren, z.B. das humane Papillomavirus, HPV). Solche Einflüsse können die DNA direkt schädigen oder Fehler bei der Zellteilung begünstigen.
  • Endogene Faktoren
    ➜ Diese inneren Ursachen beinhalten spontane Fehler, die während der normalen Zellteilung auftreten, oder Defekte in den Mechanismen, die die DNA reparieren. Solche Fehler können zufällig auftreten, selbst ohne äußere Einwirkung, da die Zellteilung ein extrem komplexer Prozess ist.

DNA-Mutationen und ihre Folgen

Eine Mutation ist eine Veränderung in der DNA-Sequenz. Es gibt mehrere Arten von Mutationen, die die Funktion von Genen stören können:

  • Punktmutationen
    ➜ Eine einzelne Base (Baustein der DNA) wird verändert, was zu einem veränderten oder funktionsunfähigen Protein führen kann.
  • Deletionen oder Insertionen
    ➜ Ganze DNA-Stücke können verloren gehen oder hinzugefügt werden, was ebenfalls zur Fehlfunktion von Proteinen führt.
  • Chromosomale Veränderungen
    ➜ Teile von Chromosomen können sich abspalten, verschmelzen oder ihre Position ändern, was die Aktivität von Genen an diesen Stellen verändert.

Wenn solche Mutationen in Onkogenen oder Tumorsuppressorgenen auftreten, können sie das Gleichgewicht zwischen Zellwachstum und -teilung stören.

Tumorzelle - Entstehung
Abb. 1.1: Vereinfachte Darstellung der Entstehung einer Tumorzelle

Unkontrolliertes Zellwachstum und die Umgehung von Kontrollmechanismen

Unter normalen Umständen durchläuft eine Zelle eine Reihe von Kontrollpunkten während ihres Lebenszyklus. Diese Kontrollpunkte gewährleisten, dass die Zelle nur dann in die Zellteilung eintritt, wenn alle Bedingungen dafür günstig sind. Diese Mechanismen überwachen auch, ob die DNA intakt ist oder beschädigt wurde.

In Tumorzellen sind diese Kontrollpunkte häufig deaktiviert. Dies geschieht, wenn Tumorsuppressorgene, die normalerweise diese Prozesse überwachen, durch Mutationen außer Kraft gesetzt werden. Ein Beispiel ist das p53-Gen, das oft als „Wächter des Genoms“ bezeichnet wird. Das p53-Protein sorgt dafür, dass Zellen mit beschädigter DNA entweder repariert oder in den programmierten Zelltod geschickt werden (Apoptose). Wenn p53 durch eine Mutation deaktiviert wird, kann die Zelle trotz DNA-Schäden weiterleben und sich teilen.

Immortalisierung und Umgehung der Apoptose

Normale Zellen haben eine begrenzte Lebensdauer. Sie durchlaufen nur eine bestimmte Anzahl von Zellteilungen, bevor sie in einen Zustand der Seneszenz übergehen, in dem sie nicht mehr teilungsfähig sind. Tumorzellen umgehen diesen natürlichen Alterungsprozess. Sie können sich endlos teilen, ein Phänomen, das als Immortalisierung bezeichnet wird.

Ein weiterer wichtiger Mechanismus, der in Krebszellen oft gestört ist, ist die Apoptose. Dies ist ein kontrollierter Prozess, bei dem beschädigte oder überflüssige Zellen sich selbst zerstören. Tumorzellen schaffen es, diesen Mechanismus zu blockieren und so zu überleben, auch wenn sie stark beschädigt sind.

Angiogenese: Blutversorgung des Tumors

Ein wachsender Tumor benötigt Nährstoffe und Sauerstoff, um weiter wachsen zu können. Ab einem gewissen Punkt beginnen Tumorzellen, Signale zu senden, die die Bildung neuer Blutgefäße anregen – ein Prozess, der als Angiogenese bezeichnet wird. Diese neuen Blutgefäße versorgen den Tumor mit den nötigen Nährstoffen und ermöglichen ihm so, weiter zu wachsen.

Invasion und Metastasierung

Ein entscheidendes Merkmal von bösartigen Tumoren ist ihre Fähigkeit, in umliegendes Gewebe einzudringen. Dies geschieht, wenn die Tumorzellen ihre Fähigkeit verlieren, an ihrem ursprünglichen Platz zu bleiben, und beginnen, sich durch das umgebende Gewebe zu bewegen. Dieser Prozess wird als Invasion bezeichnet.

Wenn die Tumorzellen in das Blut- oder Lymphsystem eindringen, können sie in andere Teile des Körpers gelangen und dort neue Tumoren bilden. Dieser Prozess der Ausbreitung wird als Metastasierung bezeichnet und ist ein Kennzeichen von fortgeschrittenem Krebs.

Zusammenfassung

Die Entstehung einer Tumorzelle ist ein schrittweiser Prozess, bei dem sich eine normale Zelle aufgrund von Mutationen in eine Zelle verwandelt, die unkontrolliert wächst und sich teilt. Dieser Prozess umfasst folgende Schlüsselereignisse:

  • DNA-Schädigung durch Mutationen (durch äußere oder innere Faktoren).
  • Störung der genetischen Kontrolle, wobei Onkogene aktiviert und Tumorsuppressorgene deaktiviert werden.
  • Umgehung von Zellkontrollmechanismen wie der Apoptose.
  • Unkontrolliertes Zellwachstum, das zur Bildung eines Tumors führt.
  • Angiogenese, die das Wachstum des Tumors fördert.
  • Invasion und Metastasierung, wodurch der Tumor in andere Körperteile gelangt.

Jeder dieser Schritte macht es der Zelle möglich, sich von der normalen Zellregulation zu lösen und zu einer Tumorzelle zu werden. Die Komplexität dieses Prozesses bedeutet, dass es oft viele Jahre dauert, bis sich ein Tumor entwickelt. Daher ist Krebs meist eine Krankheit, die mit zunehmendem Alter häufiger auftritt.

Quellen

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