Bobath-Konzept

Das Bobath-Konzept wurde in den 1940er Jahren von dem deutschen Neurologen Dr. Karel Bobath und seiner Ehefrau Berta Bobath, einer Physiotherapeutin, entwickelt. Beide arbeiteten intensiv mit Patienten, die an den Folgen von neurologischen Erkrankungen litten, insbesondere an Zerebralparesen und Schlaganfällen. Ihr Ziel war es, eine ganzheitliche Behandlungsmethode zu entwickeln, die sowohl die motorischen als auch die sensorischen Beeinträchtigungen dieser Patienten anspricht.

Philosophie und Grundprinzipien

Ganzheitlicher Ansatz

Das Bobath-Konzept basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz, der den gesamten Menschen in den Fokus rückt und nicht nur die isolierten Symptome oder betroffenen Körperteile. Dies bedeutet, dass sowohl physische, psychische als auch soziale Aspekte in die Therapie einbezogen werden.

Neuroplastizität

Ein zentrales Prinzip des Bobath-Konzepts ist die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu organisieren und neue Verbindungen zu schaffen. Durch gezielte therapeutische Interventionen können nicht nur verlorene Funktionen wiederhergestellt, sondern auch neue Bewegungsmuster erlernt werden.

Spastizität

Spastizität entsteht laut dem Bobath-Konzept durch die Vernachlässigung der plegischen Körperseite durch den Patienten. Hierdruch erhält das Gehirn nicht die Möglichkeit neue Informationen zu empfangen und Bewegungsabläufe auf neue Neuronengruppen umstrukturieren zu können. Daher stellt die Integration der betroffenen Körperseite in alle Alltagsbewegungen das Grundprinzip des Bobath-Konzepts dar.

Individuelle Anpassung

Die Therapie nach dem Bobath-Konzept wird individuell an die Bedürfnisse und Fähigkeiten des einzelnen Patienten angepasst. Es gibt keinen festen Therapieplan; stattdessen wird die Behandlung kontinuierlich angepasst, um den Fortschritten und Herausforderungen des Patienten gerecht zu werden.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Neurologische Grundlagen

Das Konzept basiert auf umfassenden Kenntnissen der neurologischen und neurophysiologischen Grundlagen. Es berücksichtigt die Mechanismen der motorischen Kontrolle und sensorischen Integration sowie die Bedeutung des zentralen Nervensystems bei der Bewegungssteuerung.

Forschungen und Studien

Seit seiner Entstehung wurde das Bobath-Konzept durch zahlreiche Studien und klinische Forschungen weiterentwickelt und verfeinert. Es hat sich in der Praxis als effektiv erwiesen, insbesondere in der Rehabilitation nach Schlaganfällen und bei Patienten mit anderen neurologischen Störungen (z.B. Multiple Sklerose, Enzephalitis, Morbus Parkinson).

Anwendung des Bobath-Konzepts in der Pflege

Lagerung und Mobilisation

  • Optimale Lagerung
    ➜ Patienten werden in Positionen gelagert, die den Muskeltonus normalisieren und Spastizität reduzieren. Regelmäßige Umlagerung fördert die Durchblutung und verhindert Druckgeschwüre.
  • Frühzeitige Mobilisation
    ➜ Mobilisation beginnt frühzeitig, oft schon in der Akutphase, um Kontrakturen zu vermeiden und die Muskelkraft zu erhalten.

Techniken der Bobath-Lagerung

1. Seitlage

Lagerung auf der betroffenen Seite:

  • Kopf
    ➜ der Kopf wird leicht zur Seite gedreht, um die Atmung zu erleichtern und die Ausrichtung der Wirbelsäule zu unterstützen.
  • Oberer Arm
    ➜ der betroffene Arm wird leicht nach vorne und vom Körper weg positioniert, auf einem Kissen abgelegt, um eine Flexionshaltung zu vermeiden und die Schulter zu entlasten.
  • Oberes Bein
    ➜ das betroffene Bein wird leicht gebeugt und durch Kissen unterstützt, um das Becken in einer neutralen Position zu halten und die Hüftgelenke zu entlasten.
  • Unterer Arm und Bein
    ➜ der nicht betroffene Arm liegt bequem neben dem Körper, und das untere Bein ist leicht angewinkelt.

Lagerung auf der nicht betroffenen Seite:

  • Kopf
    ➜ der Kopf wird wieder leicht zur Seite gedreht, um die natürliche Ausrichtung zu fördern.
  • Oberer Arm
    ➜ der betroffene Arm wird auf einem Kissen vor dem Körper platziert, um die Schulter in einer guten Position zu halten und eine Flexionshaltung zu vermeiden.
  • Oberes Bein
    ➜ das betroffene Bein wird auf einem Kissen positioniert, um eine gleichmäßige Gewichtsverteilung und eine gute Ausrichtung des Beckens zu gewährleisten.
  • Unterer Arm und Bein
    ➜ der nicht betroffene Arm und das Bein liegen bequem gestreckt oder leicht angewinkelt.

2. Rückenlage

  • Kopf
    ➜ der Kopf wird leicht zur Seite gedreht, um eine natürliche Kopfposition zu fördern und die Atmung zu erleichtern.
  • Schultern
    ➜ beide Schultern werden symmetrisch positioniert, mit Unterstützung durch Kissen unter den Armen, um eine abduzierte und leicht nach außen gedrehte Armposition zu erreichen.
  • Arme
    ➜ die Arme liegen leicht abduziert, auf Kissen gestützt, um die Spannung in den Schultern zu reduzieren.
  • Beine
    ➜ die Beine werden durch Kissen unterstützt, um eine leichte Beugung der Knie und eine neutrale Hüftposition zu fördern. Dies kann durch Kissen unter den Knien oder Unterschenkeln erreicht werden.

3. Bauchlage

  • Kopf
    ➜ der Kopf wird zur Seite gedreht, um die Atmung zu ermöglichen.
  • Oberkörper
    ➜ Kissen werden unter die Schultern und den Bauch gelegt, um die natürliche Krümmung der Wirbelsäule zu unterstützen und den Brustkorb zu entlasten.
  • Arme
    ➜ die Arme können nach oben neben den Kopf oder entlang des Körpers positioniert werden, je nachdem, was für den Patienten bequemer ist.
  • Beine
    ➜ die Beine liegen flach, wobei die Füße leicht nach außen gedreht sind. Bei Bedarf können Kissen unter die Füße gelegt werden, um die Spannung zu reduzieren.

4. Sitzposition

  • Rücken
    ➜ der Rücken sollte gut unterstützt werden, um eine aufrechte Position zu fördern. Ein Stuhl mit hoher Rückenlehne oder ein spezieller Sitzstuhl kann verwendet werden.
  • Arme
    ➜ die Arme sollten auf Kissen oder Armlehnen gestützt werden, um die Schultern zu entlasten und eine gute Armposition zu gewährleisten.
  • Beine
    ➜ die Füße sollten flach auf dem Boden stehen oder auf einer Fußstütze ruhen, um eine gute Ausrichtung der Beine zu gewährleisten.
  • Hüften und Knie
    ➜ die Hüften und Knie sollten in einem 90-Grad-Winkel positioniert sein, um eine optimale Sitzhaltung zu fördern.

Patienten sollten alle zwei Stunden umgelagert werden, um Druckgeschwüre zu vermeiden und die Durchblutung zu fördern.

Bewegungstherapie

  • Aktive und passive Bewegungen
    ➜ Patienten werden sowohl durch passive Bewegungen, die vom Therapeuten durchgeführt werden, als auch durch aktive Übungen, die der Patient selbst ausführt, therapiert.
  • Funktionelle Aktivitäten
    ➜ Übungen sind funktionell ausgerichtet, das heißt, sie basieren auf alltäglichen Aktivitäten wie Sitzen, Stehen und Greifen.

Förderung von Selbstständigkeit

  • Alltagsfähigkeiten
    ➜ Patienten werden angeleitet und unterstützt, um alltägliche Aufgaben selbstständig durchzuführen. Dies kann das Ankleiden, Essen und die persönliche Hygiene umfassen.
  • Anpassung des Umfelds
    ➜ Die Umgebung wird so angepasst, dass sie die Selbstständigkeit und Sicherheit des Patienten fördert, z.B. durch Hilfsmittel und barrierefreie Gestaltung.

Sensorische Integration

  • Stimulation sensorischer Wahrnehmungen
    ➜ Durch gezielte sensorische Reize, wie taktile Stimulation oder Gewichtstraining, wird die sensorische Wahrnehmung und Integration gefördert.
  • Koordination von Sinnes- und Bewegungsfunktionen
    ➜ Übungen zielen darauf ab, die sensorischen Rückmeldungen mit den motorischen Fähigkeiten zu koordinieren.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Das Bobath-Konzept erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen:

  • Ärzte
    • für die medizinische Diagnostik und Therapieplanung.
  • Physiotherapeuten
    • für die Durchführung spezifischer Bewegungs- und Lagerungstechniken.
  • Ergotherapeuten
    • für die Förderung von Alltagsfähigkeiten und die Anpassung der Umgebung.
  • Logopäden
    • für die Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Pflegekräfte
    • für die kontinuierliche Unterstützung und Umsetzung der Therapie im Alltag.

Fortbildung und Schulung

Pflegekräfte sollten regelmäßige Fortbildungen im Bobath-Konzept besuchen, um ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem neuesten Stand zu halten. Schulungen können praktische Übungen, theoretisches Wissen und die Beobachtung erfahrener Therapeuten umfassen.

Fazit

Das Bobath-Konzept bietet einen ganzheitlichen Ansatz zur Rehabilitation von Patienten mit neurologischen Beeinträchtigungen. Durch die individuelle und integrative Therapie können Pflegekräfte wesentlich zur Verbesserung der Bewegungsfähigkeit, Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten beitragen. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und kontinuierliche Weiterbildung sind entscheidend für den Erfolg der Behandlung nach dem Bobath-Konzept.

Geschichte des Bobath-Konzepts

Ursprung und Entwicklung

Das Bobath-Konzept wurde in den 1940er Jahren von dem Ehepaar Dr. Karel Bobath und Berta Bobath entwickelt. Dr. Karel Bobath war ein Neurologe und Psychiater, während Berta Bobath als Physiotherapeutin tätig war. Beide stammten aus Deutschland, emigrierten jedoch in den 1930er Jahren nach Großbritannien, wo sie ihre bahnbrechende Arbeit fortsetzten.

Frühe Einflüsse und Motivation

Berta Bobath begann ihre Karriere als Gymnastiklehrerin, bevor sie sich der Physiotherapie zuwandte. Ihre Erfahrungen in der Bewegungstherapie und ihr Interesse an neurologischen Störungen führten sie zur Zusammenarbeit mit ihrem Mann Karel. Gemeinsam begannen sie, neue Behandlungsmethoden für Patienten mit Zerebralparese und anderen neurologischen Erkrankungen zu erforschen.

Entwicklung des Konzepts

Während ihrer Arbeit mit neurologisch beeinträchtigten Patienten stellten die Bobaths fest, dass viele der damals üblichen therapeutischen Ansätze nicht die gewünschten Fortschritte brachten. Sie begannen, alternative Methoden zu entwickeln, die auf einer genaueren Beobachtung der Bewegungsmuster und Muskelspannungen basierten.

Ein zentrales Prinzip ihres Ansatzes war die Erkenntnis, dass das Gehirn die Fähigkeit zur Plastizität besitzt, also zur Anpassung und Reorganisation. Sie erkannten, dass durch gezielte sensorische und motorische Stimulation neue neuronale Verbindungen geschaffen und alte reaktiviert werden können.

Wichtige Meilensteine

1950er Jahre

  • Die Bobaths gründeten die erste Bobath-Klinik in London, die sich auf die Behandlung von Kindern mit Zerebralparese spezialisierte.
  • Ihre Arbeit erlangte internationale Anerkennung, und Therapeuten aus der ganzen Welt kamen nach London, um ihre Methoden zu erlernen.

1960er Jahre

  • Die Bobaths begannen, ihre Techniken auch auf die Rehabilitation von Erwachsenen, insbesondere Schlaganfallpatienten, anzuwenden.
  • Das Konzept wurde weiterentwickelt und verfeinert, um die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten zu berücksichtigen.

1970er Jahre und darüber hinaus

  • Das Bobath-Konzept verbreitete sich weltweit und wurde in vielen Ländern in die Ausbildung von Physiotherapeuten integriert.
  • Zahlreiche Studien und klinische Forschungen unterstützten die Wirksamkeit des Bobath-Konzepts und trugen zu seiner Weiterentwicklung bei.

Einfluss und Vermächtnis

Das Bobath-Konzept hat die Rehabilitationstherapie nachhaltig beeinflusst und neue Standards in der Behandlung neurologischer Störungen gesetzt. Die Betonung der individuellen Behandlungspläne, der ganzheitliche Ansatz und die Nutzung der Neuroplastizität sind heute wesentliche Bestandteile moderner Rehabilitation.

Berta und Karel Bobath haben durch ihre Arbeit und ihr Engagement unzähligen Patienten geholfen, ihre Lebensqualität zu verbessern und ein höheres Maß an Unabhängigkeit zu erreichen. Ihr Erbe lebt in den zahlreichen Bobath-Therapiezentren und den tausenden Therapeuten, die ihre Methoden anwenden, weiter.

Quellen

  • Symptome eines Schlaganfalls erkennen und handeln (ohne Datum) Internisten-im-netz.de. Verfügbar unter: https://www.internisten-im-netz.de/aktuelle-meldungen/aktuell/symptome-eines-schlaganfalls-erkennen-und-handeln.html (Zugegriffen: 3. Juli 2024).
  • Elsevier GmbH, & Menche, N. (Hrsg.). (2019). Pflege Heute (7. Aufl.). Urban & Fischer in Elsevier.
  • Wied, S., & Warmbrunn, A. (Hrsg.). (2012). Pschyrembel Pflege (3. Aufl.). Walter de Gruyter.
  • Elsevier GmbH (Hrsg.) (2017) PFLEGEN: Grundlagen und Interventionen. 2. Aufl. München: Urban & Fischer in Elsevier.
  • DocCheck, M. B. (2012) Bobath-Konzept, DocCheck Flexikon. DocCheck Community GmbH. Verfügbar unter: https://flexikon.doccheck.com/de/Bobath-Konzept (Zugegriffen: 3. Juli 2024).