Pflege bei Epilepsie
Die Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle resultieren aus plötzlichen, abnormalen elektrischen Entladungen im Gehirn. Die Pflege von Patienten mit Epilepsie erfordert ein fundiertes Wissen über die Erkrankung, ihre Symptome, Auslöser und Behandlungsmöglichkeiten, um eine optimale Betreuung und Unterstützung zu gewährleisten.
Pflegerische Ziele
- Verbesserung der Lebensqualität der Patienten
- Sicherstellung der regelmäßigen Medikation und Überwachung auf Nebenwirkungen
- Unterstützung bei der Bewältigung von Anfällen und Minimierung von Verletzungsrisiken
- Förderung der Selbstmanagementfähigkeiten der Patienten
- Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen über die Erkrankung und deren Management
Pflegerische Maßnahmen
Anfallserkennung und -überwachung
- Schulung des Pflegepersonals
➜ Erkennen der verschiedenen Anfallstypen und deren Symptome, um schnell und angemessen reagieren zu können. - Anfallskalender
➜ Führen eines Anfallstagebuchs zur Dokumentation von Anfallshäufigkeit, Dauer, Auslösern und Symptomen. - Videoüberwachung
➜ In bestimmten Fällen kann eine Videoüberwachung zur besseren Analyse und Dokumentation der Anfälle sinnvoll sein.
Sicherheitsmaßnahmen
- Anpassung der Umgebung
➜ Sicherstellung einer sicheren Umgebung zur Minimierung von Verletzungsrisiken während eines Anfalls (z.B. Entfernen scharfer Gegenstände, Polsterung harter Kanten). - Erste Hilfe
➜ Schulung in Erster Hilfe bei Anfällen, einschließlich der Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen und zur Sicherstellung der Atemwege. - Spezifische Vorkehrungen
➜ Anleitung zur sicheren Durchführung von Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Baden, Kochen oder Treppensteigen.
Medikamentenmanagement
- Einhaltung der Medikation
➜ Sicherstellung, dass die Patienten ihre Antikonvulsiva regelmäßig und korrekt einnehmen. - Überwachung auf Nebenwirkungen
➜ Beobachtung und Dokumentation möglicher Nebenwirkungen der Medikamente und Kommunikation mit dem behandelnden Arzt. - Therapieanpassungen
➜ Unterstützung bei der Anpassung der Medikation in Absprache mit dem Arzt, basierend auf Anfallskontrolle und Nebenwirkungen.
Ernährungsmanagement
- Ketogene Diät
➜ In speziellen Fällen kann eine ketogene Diät oder eine modifizierte Atkins-Diät als ergänzende Therapie empfohlen werden. Diese Diäten sollten unter der Aufsicht von Ernährungsspezialisten durchgeführt werden. - Allgemeine Ernährungsempfehlungen
➜ Förderung einer ausgewogenen Ernährung zur allgemeinen Gesundheitsförderung und zur Unterstützung der medikamentösen Therapie.
Psychosoziale Unterstützung
- Beratung und Unterstützung
➜ Unterstützung bei der Bewältigung der emotionalen und sozialen Auswirkungen der Epilepsie, wie Angst, Depression und soziale Isolation. - Selbsthilfegruppen
➜ Förderung der Teilnahme an Selbsthilfegruppen und anderen Unterstützungsnetzwerken, um den Austausch mit anderen Betroffenen zu ermöglichen. - Individuelle Beratung
➜ Bereitstellung von Beratung und Unterstützung bei spezifischen Problemen, die durch die Epilepsie verursacht werden können.
Schulung und Aufklärung
- Patientenschulung
➜ Regelmäßige Schulungen zur Krankheit, deren Management und zur Prävention von Komplikationen. Dies umfasst die Aufklärung über Anfallsauslöser, die Bedeutung der Medikation und Notfallmaßnahmen. - Schulung der Angehörigen
➜ Einbeziehung der Familienmitglieder und Betreuer in Schulungsprogramme, um sie auf die Unterstützung und Betreuung der Patienten vorzubereiten. - Erste Hilfe und Notfallmanagement
➜ Schulung in Erster Hilfe bei Anfällen und Notfallmaßnahmen, um schnell und angemessen reagieren zu können.
Spezielle Pflegeaspekte
Kinder und Jugendliche
- Anpassung der Betreuung
➜ Berücksichtigung des Entwicklungsstandes und der spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie. - Schulische Unterstützung
➜ Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Schulpersonal zur Sicherstellung einer angemessenen Unterstützung und Integration in den Schulalltag. - Familienunterstützung
➜ Unterstützung der Familien bei der Bewältigung der besonderen Herausforderungen, die mit der Betreuung eines Kindes mit Epilepsie verbunden sind.
Ältere Patienten
- Multimorbidität
➜ Berücksichtigung von Begleiterkrankungen und deren Einfluss auf die Epilepsiebehandlung. - Medikamenteninteraktionen
➜ Überwachung und Management möglicher Wechselwirkungen zwischen Antikonvulsiva und anderen Medikamenten, die ältere Patienten einnehmen. - Mobilität und Sicherheit
➜ Anpassung der Pflegepläne zur Minimierung von Sturzrisiken und Förderung der Mobilität.
Notfallmanagement
Erkennung von Notfällen
- Status epilepticus
➜ Erkennen und sofortiges Handeln bei Status epilepticus, einem medizinischen Notfall, bei dem Anfälle länger als 5 Minuten andauern oder in schneller Folge auftreten. - Akute Maßnahmen
➜ Verabreichung von Notfallmedikamenten (z.B. Benzodiazepinen) gemäß ärztlicher Anweisung.
Erste Hilfe bei Anfällen
- Grundlagen der Ersten Hilfe
➜ Sicherstellung der Atemwege, Verhinderung von Verletzungen, Seitenlage nach dem Anfall zur Aspiration verhindern. - Ruhe bewahren
➜ Ruhe bewahren und den Patienten beruhigen, wenn dieser nach dem Anfall wieder zu Bewusstsein kommt.
CAVE: Einer krampfenden Person sollten niemals Finger oder Gegenstände (z.B. Mundkeile) in den Mund geschoben werden. Finger können abgebissen werden, Keile können splittern und die Bruchstücke vom Patienten eingeatmet werden.
Prävention und Langzeitmanagement
Regelmäßige Nachsorge
- Kontinuierliche Überwachung
➜ Regelmäßige Überprüfung der Anfallskontrolle und Anpassung der Therapie basierend auf dem klinischen Verlauf und den Bedürfnissen des Patienten. - Laboruntersuchungen
➜ Regelmäßige Bluttests zur Überwachung der Medikamentenspiegel und zur Erkennung von Nebenwirkungen.
Lebensstilmodifikationen
- Anfallsauslöser vermeiden
➜ Identifikation und Vermeidung potenzieller Anfallsauslöser, wie Schlafmangel, Stress, Alkohol und flackerndes Licht. - Gesunde Lebensweise
➜ Förderung einer gesunden Lebensweise, einschließlich regelmäßiger Bewegung, ausgewogener Ernährung und ausreichend Schlaf.
Langfristige Unterstützung
- Rehabilitative Maßnahmen
➜ Ergotherapie, Physiotherapie und psychosoziale Betreuung zur Verbesserung der Lebensqualität und der Alltagsbewältigung. - Soziale Integration
➜ Unterstützung bei der sozialen Integration und Teilnahme an Freizeitaktivitäten und beruflichen Tätigkeiten.
Fallbeispiel: Pflege bei Epilepsie
Patientenvorstellung
Persönliche Daten
- Name: Anna Müller
- Alter: 28 Jahre
- Beruf: Bürokauffrau
- Familienstand: Ledig, lebt allein
Anamnese
Anna Müller leidet seit ihrem 18. Lebensjahr an Epilepsie. Die Diagnose wurde nach mehreren Grand-Mal-Anfällen gestellt. Trotz medikamentöser Behandlung kommt es bei ihr gelegentlich zu Anfällen, insbesondere in stressigen Situationen oder bei Schlafmangel.
Pflegesituation
Anna wurde nach einem schweren Anfall, bei dem sie sich verletzte, ins Krankenhaus eingeliefert. Während ihres Aufenthalts im Krankenhaus wurde eine umfassende Pflegeplanung erstellt, um ihre Bedürfnisse zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Pflegebedarf
- Anfallssicherheit gewährleisten
➜ Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen während eines Anfalls. - Medikamentenmanagement
➜ Sicherstellung der regelmäßigen Einnahme und Überwachung auf Nebenwirkungen. - Psycho-soziale Unterstützung
➜ Umgang mit Ängsten und sozialen Herausforderungen aufgrund der Epilepsie. - Förderung eines gesunden Lebensstils
➜ Stressbewältigung und Schlafhygiene.
Pflegeanamnese
Die Pflegeanamnese wurde durch ein ausführliches Gespräch mit Anna und die Analyse ihrer Krankenakte erstellt. Dabei wurden folgende wichtige Informationen erfasst:
- Medikamentenplan
➜ Anna nimmt täglich Lamotrigin. Nebenwirkungen wie Schwindel und Müdigkeit wurden dokumentiert. - Auslöser
➜ Stress und Schlafmangel wurden als Hauptauslöser für Anfälle identifiziert. - Anfallsmuster
➜ Meist nachts, ohne Vorwarnung. - Verletzungen
➜ Häufig Prellungen und Schürfwunden durch Stürze während der Anfälle.
Pflegediagnosen
Basierend auf der Anamnese wurden folgende Pflegediagnosen gestellt:
- Verletzungsgefahr aufgrund von epileptischen Anfällen.
- Beeinträchtigung des Wohlbefindens aufgrund von Nebenwirkungen der Medikation.
- Angst und Unsicherheit im Umgang mit der Krankheit.
Pflegeziele
- Verletzungen vermeiden
➜ Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen in Annas Umgebung. - Medikamenteneinnahme sicherstellen
➜ Regelmäßige Kontrolle und Anpassung durch den Arzt. - Lebensqualität verbessern
➜ Unterstützung bei der Bewältigung von Ängsten und Förderung eines gesunden Lebensstils.
Pflegemaßnahmen
Anfallssicherheit
- Weiche Polsterungen an scharfen Möbelkanten in Annas Wohnung.
- Einsatz eines Bettschutzgitters, um nächtliche Stürze zu verhindern.
- Schulung von Annas Umfeld (Freunde, Kollegen) im Umgang mit Anfällen.
Medikamentenmanagement
- Regelmäßige Kontrolle der Medikamenteneinnahme.
- Dokumentation von Nebenwirkungen und Rücksprache mit dem behandelnden Neurologen.
Psycho-soziale Unterstützung
- Vermittlung an eine Selbsthilfegruppe für Epilepsiepatienten.
- Regelmäßige Gespräche mit einem Psychologen zur Bewältigung von Ängsten.
Gesunder Lebensstil
- Beratung zu Stressmanagement-Techniken (z.B. Yoga, Meditation).
- Tipps zur Verbesserung der Schlafhygiene (z.B. feste Schlafenszeiten, Vermeidung von Koffein am Abend).
Evaluation
Nach einem Monat wurde eine Evaluation der Pflegeziele durchgeführt. Es zeigte sich, dass Anna seit der Implementierung der Maßnahmen keinen schweren Anfall mehr hatte. Ihre Lebensqualität hat sich verbessert, da sie weniger Angst vor Anfällen hat und besser mit Stress umgehen kann. Die Nebenwirkungen der Medikation wurden durch eine Anpassung der Dosierung reduziert.
Zusammenfassung
Die Pflege von Patienten mit Epilepsie erfordert eine umfassende und individualisierte Betreuung, die alle Aspekte der Erkrankung berücksichtigt. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften, Ärzten und anderen Gesundheitsdienstleistern sowie durch kontinuierliche Schulung und Unterstützung der Patienten kann eine optimale Anfallskontrolle erreicht und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden.
Quellen
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