Strukturierte Informationssammlung (SIS)

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) ist ein zentrales Element in der modernen Pflegeplanung und -dokumentation. Sie zielt darauf ab, Pflegeprozesse zu systematisieren, die Qualität der Pflege zu steigern und die Kommunikation innerhalb des Pflegeteams sowie mit den Patienten und deren Angehörigen zu verbessern.

Was ist die Strukturierte Informationssammlung (SIS)?

Die SIS ist ein standardisiertes Verfahren zur Erfassung und Dokumentation pflegerelevanter Informationen. Sie wurde entwickelt, um die bisherigen Dokumentationssysteme zu vereinfachen und zu optimieren. Das System basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die körperlichen als auch die psychosozialen Bedürfnisse der Patienten berücksichtigt.

Aufbau und Bestandteile der SIS

Die SIS besteht aus mehreren Komponenten, die miteinander verzahnt sind, um eine umfassende Pflegeplanung zu ermöglichen:

  • Erstgespräch
    • Zu Beginn der Pflege wird ein ausführliches Erstgespräch mit den Patienten und/oder deren Angehörigen geführt. Ziel ist es, ein ganzheitliches Bild von den Bedürfnissen, Wünschen und Problemen der Pflegebedürftigen zu erhalten.
  • Pflegeanamnese
    • In diesem Schritt werden detaillierte Informationen über den Gesundheitszustand, die Pflegebedürftigkeit und die Lebenssituation der Patienten gesammelt. Hierbei werden sowohl objektive Daten (z.B. medizinische Diagnosen, körperliche Einschränkungen) als auch subjektive Einschätzungen (z.B. Wohlbefinden, Ängste) erfasst.
  • Strukturierte Einschätzung
    • Die gesammelten Informationen werden systematisch ausgewertet und in verschiedene Kategorien eingeteilt, wie z.B. Mobilität, Ernährung, Ausscheidung, Kommunikation, soziale Beziehungen und psychosoziales Wohlbefinden. Diese Kategorien ermöglichen eine zielgerichtete Planung und Umsetzung der Pflege.
  • Pflegeplanung
    • Basierend auf der strukturierten Einschätzung werden individuelle Pflegeziele und -maßnahmen festgelegt. Dabei werden sowohl kurzfristige als auch langfristige Ziele berücksichtigt, um eine kontinuierliche Verbesserung der Pflegesituation zu gewährleisten.
  • Dokumentation und Evaluation
    • Alle pflegerelevanten Maßnahmen und deren Ergebnisse werden kontinuierlich dokumentiert und regelmäßig evaluiert. Dies ermöglicht eine laufende Anpassung der Pflegeplanung an veränderte Bedürfnisse und Bedingungen.
Pflegeanamnese
Zu Beginn einer Strukturierte Informationssammlung steht eine ausführliche Pflegeanamnese

Vorteile der SIS für das medizinische Personal

Die Einführung der SIS bietet zahlreiche Vorteile für das Pflegepersonal und die Patient*innen:

  • Verbesserte Pflegequalität
    • Durch die systematische Erfassung und Auswertung pflegerelevanter Informationen können Pflegebedarfe besser identifiziert und gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Dies führt zu einer verbesserten Pflegequalität und einem höheren Wohlbefinden der Patient*innen.
  • Zeitersparnis und Effizienz
    • Die standardisierten Abläufe und die klare Struktur der SIS erleichtern die Pflegeplanung und -dokumentation erheblich. Dies spart Zeit und reduziert den Verwaltungsaufwand, sodass mehr Zeit für die direkte Pflege bleibt.
  • Transparenz und Nachvollziehbarkeit
    • Die strukturierte Dokumentation ermöglicht eine transparente und nachvollziehbare Darstellung der Pflegeprozesse. Dies erleichtert die Kommunikation innerhalb des Pflegeteams und mit anderen Berufsgruppen, wie z.B. Ärzten oder Therapeuten.
  • Förderung der Patientenpartizipation
    • Durch das ausführliche Erstgespräch und die regelmäßige Evaluation werden die Patient*innen und deren Angehörige aktiv in die Pflegeplanung einbezogen. Dies stärkt das Vertrauen und die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und fördert ihre Partizipation.
  • Qualitätssicherung und -entwicklung
    • Die systematische Erfassung und Dokumentation der Pflegeprozesse ermöglicht eine kontinuierliche Qualitätssicherung und -entwicklung. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf die Anforderungen an die Pflegequalität durch gesetzliche Vorgaben und externe Qualitätsprüfungen.

Umsetzung der SIS in der Praxis

Die erfolgreiche Implementierung der SIS erfordert eine sorgfältige Planung und Schulung des Pflegepersonals. Folgende Schritte sind dabei von zentraler Bedeutung:

  • Schulung und Fortbildung
    • Das Pflegepersonal muss umfassend über die Ziele, Methoden und Vorteile der SIS informiert und in deren Anwendung geschult werden. Regelmäßige Fortbildungen und Schulungen sind notwendig, um die Kompetenz und das Wissen der Pflegekräfte auf dem aktuellen Stand zu halten.
  • Anpassung der Dokumentationssysteme
    • Die bestehenden Dokumentationssysteme müssen an die Anforderungen der SIS angepasst werden. Dies kann sowohl die Einführung neuer Softwarelösungen als auch die Anpassung bestehender Systeme umfassen.
  • Einbindung aller Beteiligten
    • Alle am Pflegeprozess beteiligten Personen, einschließlich der Pflegekräfte, Ärztinnen, Therapeutinnen und Angehörigen, müssen in die Umsetzung der SIS einbezogen werden. Dies fördert die Akzeptanz und die Zusammenarbeit im Team.
  • Kontinuierliche Evaluation und Anpassung
    • Die Umsetzung der SIS muss regelmäßig evaluiert und an die Bedürfnisse und Bedingungen der Pflegeeinrichtung angepasst werden. Dies umfasst sowohl die Überprüfung der Pflegequalität als auch die Anpassung der Dokumentationssysteme und -prozesse.

Beispiele für die Anwendung in der Praxis

Beispiel 1: Pflege eines älteren Patienten mit Mobilitätseinschränkungen

Erstgespräch und Pflegeanamnese: Herr Müller, 82 Jahre alt, lebt allein und hat Schwierigkeiten mit der Mobilität aufgrund von Arthrose in den Knien. Im Erstgespräch berichtet er über seine Unabhängigkeit im Alltag, aber auch über seine Angst vor Stürzen.

  • Strukturierte Einschätzung
    • Mobilität: Eingeschränkte Beweglichkeit der unteren Extremitäten, benötigt Gehhilfe.
    • Ernährung: Ausreichende Nahrungsaufnahme, aber Schwierigkeiten beim Einkaufen.
    • Ausscheidung: Regelmäßige Blasen- und Darmentleerung ohne Inkontinenz.
    • Kommunikation: Klar und verständlich, jedoch manchmal vergesslich.
    • Soziale Beziehungen: Selten Besuch von Angehörigen, fühlt sich oft einsam.
    • Psychosoziales Wohlbefinden: Angst vor Stürzen, leicht depressiv.
  • Pflegeplanung
    • Kurzfristige Ziele: Sicherstellung der Mobilität im Haushalt, Vermeidung von Stürzen.
    • Langfristige Ziele: Erhaltung der Selbstständigkeit und Lebensqualität.
    • Maßnahmen:
      • Bereitstellung einer Gehhilfe und regelmäßige Übungen zur Stärkung der Beinmuskulatur.
      • Organisation von Mahlzeitenlieferungen und Begleitung beim Einkaufen.
      • Regelmäßige Besuche durch Pflegepersonal zur Überwachung des Wohlbefindens und zur sozialen Interaktion.
      • Psychosoziale Unterstützung und ggf. Vermittlung an einen Therapeuten.
  • Dokumentation und Evaluation
    • Regelmäßige Überprüfung der Mobilität und Anpassung der Maßnahmen bei Bedarf.
    • Dokumentation der Fortschritte und Probleme in der Pflegedokumentation.
    • Regelmäßige Evaluation der Pflegeziele und -maßnahmen.

Beispiel 2: Pflege einer Patientin mit Demenz

Erstgespräch und Pflegeanamnese: Frau Schmidt, 76 Jahre alt, lebt im Pflegeheim und leidet an mittelschwerer Demenz. Im Gespräch mit der Tochter werden Schwierigkeiten bei der Orientierung und zeitweise aggressive Verhaltensweisen erwähnt.

  • Strukturierte Einschätzung
    • Mobilität: Keine wesentlichen körperlichen Einschränkungen, aber zeitweise unruhig.
    • Ernährung: Oft vergisst sie zu essen oder zu trinken, Gewichtsverlust.
    • Ausscheidung: Gelegentliche Inkontinenz.
    • Kommunikation: Eingeschränkt, zeitweise orientierungslos und aggressiv.
    • Soziale Beziehungen: Wenig Kontakt zu anderen Bewohnern, zurückgezogen.
    • Psychosoziales Wohlbefinden: Hohe Unruhe und Verwirrtheit, Angstzustände.
  • Pflegeplanung
    • Kurzfristige Ziele: Verbesserung der Ernährungssituation, Reduktion von Unruhe und Aggressivität.
    • Langfristige Ziele: Stabilisierung des Allgemeinzustandes, Förderung der sozialen Interaktion.
    • Maßnahmen:
      • Einführung regelmäßiger, kleiner Mahlzeiten und Erinnerungen zum Trinken.
      • Maßnahmen zur Beruhigung, wie Musiktherapie oder Aromatherapie.
      • Regelmäßige Toilettengänge zur Vermeidung von Inkontinenzepisoden.
      • Förderung sozialer Interaktionen durch Gruppenaktivitäten und Einzelgespräche.
  • Dokumentation und Evaluation
    • Tägliche Dokumentation der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme.
    • Dokumentation der Stimmung und Verhaltensänderungen.
    • Regelmäßige Evaluation der Pflegeziele und -maßnahmen, Anpassungen bei Bedarf.

Geschichte

Ursprung und Entwicklung

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) hat ihre Wurzeln in den Bemühungen, die Pflegeplanung und -dokumentation systematischer und effizienter zu gestalten. Der Bedarf an einem standardisierten Verfahren entstand aus der zunehmenden Komplexität der Pflegesituationen und den steigenden Anforderungen an die Pflegequalität und -sicherheit.

  • Frühe Ansätze zur Pflegeplanung
    In den 1980er und 1990er Jahren wurden verschiedene Modelle und Theorien zur Pflegeplanung entwickelt, die sich auf die Bedürfnisse der Patient*innen konzentrierten. Zu diesen Modellen gehörten die Pflegetheorien von Virginia Henderson, Dorothea Orem und anderen. Diese Theorien legten den Grundstein für eine systematische Herangehensweise an die Pflege.
  • Einführung der Pflegeprozessmodelle
    In den 1990er Jahren wurden Pflegeprozessmodelle wie das Roper-Logan-Tierney-Modell und das Modell von Orem in die Pflegepraxis eingeführt. Diese Modelle betonten die Bedeutung einer strukturierten und systematischen Pflegeplanung und -dokumentation.
  • Entwicklung der SIS
    In den 2000er Jahren wurde die SIS als Reaktion auf die zunehmenden Anforderungen an die Pflegequalität und die Notwendigkeit einer effizienten Pflegeplanung entwickelt. Die Einführung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) in Deutschland im Jahr 2012 und die damit verbundenen Qualitätsvorgaben verstärkten die Notwendigkeit für ein standardisiertes Dokumentationssystem.
  • Pilotprojekte und Implementierung
    In den darauffolgenden Jahren wurden verschiedene Pilotprojekte zur Implementierung der SIS in Pflegeeinrichtungen durchgeführt. Diese Projekte zeigten positive Ergebnisse in Bezug auf die Pflegequalität und die Zufriedenheit des Pflegepersonals.
  • Weiterentwicklung und Verbreitung
    Mit der positiven Resonanz auf die Pilotprojekte wurde die SIS weiterentwickelt und in immer mehr Pflegeeinrichtungen eingeführt. Fortlaufende Schulungen und Anpassungen an die Praxisbedürfnisse sorgten für eine stetige Verbesserung des Systems.

Zusammenfassung

Die Strukturierte Informationssammlung ist ein zentraler Bestandteil der modernen Pflegeplanung und -dokumentation. Sie bietet zahlreiche Vorteile für das Pflegepersonal und die Patient*innen, darunter eine verbesserte Pflegequalität, Zeitersparnis, Transparenz und die Förderung der Patientenpartizipation. Die erfolgreiche Umsetzung der SIS erfordert eine sorgfältige Planung, Schulung und Einbindung aller Beteiligten. Durch die kontinuierliche Evaluation und Anpassung kann die Qualität der Pflege langfristig gesichert und weiterentwickelt werden.

Quellen

  • Elsevier GmbH, & Menche, N. (Hrsg.). (2019). Pflege Heute (7. Aufl.). Urban & Fischer in Elsevier.
  • Heiligmann, S. (2022). I care – PflegeExamen KOMPAKT (2. Aufl.). Thieme.
  • Bauer, A., und Ewers, M. (2017) ‚Strukturierte Informationssammlung (SIS) – Chancen und Herausforderungen für die Praxis‘, in Pflegen: Wissenschaft und Praxis, 4(2), S. 85-94.
  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2020) ‚Pflegereform 2020: Neue Regelungen für die Strukturierte Informationssammlung‘, verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de (Zugriff am 15. Juli 2024).
  • Müller, S. (2018) ‚Die Implementierung der Strukturierten Informationssammlung in der Pflegepraxis: Ein Leitfaden‘, Pflegezeitschrift, 71(5), S. 200-205.
  • Schneider, U., und Meier, K. (2016) ‚Qualitätssicherung durch Strukturierte Informationssammlung‘, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 49(3), S. 239-245.