Adhärenz

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[ʔatʰhɛˈʁɛnts]
Plural:
Adhärenzen
Trennung:
Ad|hä|renz
Synonym:
Therapietreue
Englisch:
adherence
Abstammung:
latein.: adhaerere = anhängen

Die Adhärenz, also das Ausmaß, in dem Patienten die gemeinsam mit dem medizinischen Fachpersonal vereinbarten Behandlungspläne einhalten, stellt einen wesentlichen Faktor für den Erfolg medizinischer Interventionen dar. Fehlende Adhärenz kann zu suboptimalen Therapieergebnissen, erhöhten Gesundheitskosten und einer verminderten Lebensqualität der Patienten führen.

Definition

Adhärenz bezeichnet das Ausmaß, in dem Patienten den gemeinsam mit dem medizinischen Fachpersonal erstellten Behandlungsplan aktiv befolgen. Sie umfasst die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, die Einhaltung von Therapieanweisungen und das konsequente Befolgen gesundheitlicher Empfehlungen, um optimale Behandlungsergebnisse zu erzielen.

Bedeutung der Adhärenz für den Therapieerfolg

Eine hohe Adhärenz ist entscheidend, um die Wirksamkeit von Behandlungen sicherzustellen. Studien haben gezeigt, dass eine schlechte Adhärenz mit einer Verschlechterung der Gesundheitszustände, einer höheren Rate an Krankenhausaufenthalten und einer erhöhten Sterblichkeit verbunden ist. Dies gilt insbesondere für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Hypertonie und HIV/AIDS, bei denen eine kontinuierliche Einnahme von Medikamenten und die Einhaltung eines langfristigen Behandlungsplans von entscheidender Bedeutung sind.

Ursachen mangelnder Adhärenz

Mangelnde Adhärenz kann auf eine Vielzahl von Faktoren zurückgeführt werden, die laut WHO oft in fünf Kategorien unterteilt werden:

  • Patientenbezogene Faktoren
    • Hierzu gehören das Verständnis des Patienten für seine Erkrankung und die Behandlung, Motivation, kognitive Fähigkeiten, emotionale Zustände wie Depression oder Angst sowie das Vertrauen in den Arzt.
  • Therapiebezogene Faktoren
    • Dazu zählen die Komplexität des Behandlungsplans, Nebenwirkungen der Medikamente, die Dauer der Therapie und die wahrgenommene Wirksamkeit der Behandlung.
  • Erkrankungsbezogene Faktoren
    • Der Schweregrad und die Art der Krankheit, insbesondere bei asymptomatischen Erkrankungen, können die Adhärenz beeinflussen.
  • Sozioökonomische Faktoren
    • Finanzielle Schwierigkeiten, mangelnde soziale Unterstützung, kulturelle und sprachliche Barrieren sowie der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen spielen eine wichtige Rolle.
  • Gesundheitssystembezogene Faktoren
    • Die Art und Weise, wie Gesundheitsdienstleistungen organisiert sind, einschließlich der Beziehung zwischen Patient und Arzt, die Kontinuität der Betreuung und die Verfügbarkeit von Ressourcen, können ebenfalls die Adhärenz beeinflussen.

Strategien zur Verbesserung der Adhärenz

Das medizinische Fachpersonal kann eine Vielzahl von Strategien anwenden, um die Adhärenz zu verbessern:

  • Aufklärung und Kommunikation
    • Eine klare und verständliche Kommunikation über die Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten und die Bedeutung der Adhärenz ist entscheidend. Patienten sollten in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, um ihre Autonomie zu fördern und die Therapietreue zu stärken.
  • Vereinfachung der Therapiepläne
    • Komplexe Behandlungsregime können durch vereinfachte Dosierungspläne, Kombinationstherapien oder die Reduzierung der Medikamentenanzahl erleichtert werden.
  • Förderung der Patienten-Selbstmanagement-Kompetenz
    • Schulungsprogramme, die Patienten helfen, ihre Erkrankung besser zu verstehen und selbstständig zu managen, können die Adhärenz deutlich verbessern.
  • Einsatz von Erinnerungsmechanismen
    • Technologische Hilfsmittel wie Apps, Erinnerungsnachrichten oder elektronische Pillendosen können Patienten dabei unterstützen, ihre Medikation regelmäßig einzunehmen.
  • Aufbau einer unterstützenden Beziehung
    • Eine vertrauensvolle und unterstützende Beziehung zwischen Patient und Arzt ist von zentraler Bedeutung. Regelmäßige Nachsorgetermine und eine proaktive Kommunikation können dabei helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen und Lösungen zu finden.

Kontrolle

Die Kontrolle der Adhärenz ist ein zentraler Bestandteil des medizinischen Managements, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen die kontinuierliche Einnahme von Medikamenten und die Einhaltung therapeutischer Maßnahmen entscheidend für den Erfolg der Behandlung sind. Hier sind die wichtigsten Aspekte und Methoden, die das medizinische Fachpersonal zur Kontrolle der Adhärenz nutzen kann:

Selbstberichterstattung durch Patienten

  • Fragebögen und Interviews
    ➜ Eine gängige Methode zur Überwachung der Adhärenz ist die Befragung der Patienten. Dies kann durch standardisierte Fragebögen oder strukturierte Interviews erfolgen. Obwohl diese Methode einfach anzuwenden ist, besteht das Risiko von Verzerrungen, da Patienten ihre Adhärenz möglicherweise über- oder unterschätzen.
  • Tagebücher
    ➜ Patienten können gebeten werden, ein Tagebuch zu führen, in dem sie ihre Medikamenteneinnahme dokumentieren. Dies gibt sowohl dem Patienten als auch dem Arzt eine Übersicht über die regelmäßige Einnahme und mögliche Probleme.

Tablettenzählung

  • Physische Pillenzählung
    ➜ Der Arzt kann die verbleibende Anzahl von Tabletten in einer Packung zählen, um die Adhärenz zu bestimmen. Diese Methode kann jedoch manipuliert werden, indem Patienten nicht eingenommene Tabletten entsorgen.
  • Elektronische Überwachung
    ➜ Moderne Pillendosen sind mit elektronischen Sensoren ausgestattet, die jede Öffnung der Dose registrieren. Diese Daten können ausgewertet werden, um ein genaues Bild der Medikamenteneinnahme zu erhalten.

Apotheken- und Verschreibungsdaten

  • Überwachung von Rezept-Einlösungen
    ➜ Die Überprüfung, wie oft und ob Patienten ihre Rezepte in der Apotheke einlösen, bietet einen indirekten Hinweis auf ihre Adhärenz. Wenn Patienten regelmäßig ihre Medikamente abholen, ist es wahrscheinlicher, dass sie die Anweisungen befolgen.
  • Mengenanalyse
    ➜ Anhand der verschriebenen und abgegebenen Medikamentenmengen kann der Arzt überprüfen, ob die abgegebene Menge mit dem verordneten Zeitrahmen übereinstimmt.

Biochemische Methoden

  • Blut- und Urintests
    ➜ In einigen Fällen kann die Adhärenz durch die Messung der Medikamentenspiegel im Blut oder Urin überprüft werden. Diese Methode ist besonders nützlich bei Medikamenten, die leicht nachweisbar sind. Allerdings sind diese Tests oft teuer und können für den Patienten belastend sein.
  • Therapeutisches Drug Monitoring (TDM)
    ➜ Diese spezialisierte Methode überwacht die Konzentration bestimmter Medikamente im Blut, um sicherzustellen, dass die Patienten innerhalb des therapeutischen Fensters bleiben.

Klinische Marker

  • Beobachtung von klinischen Indikatoren
    ➜ Ein indirekter Ansatz zur Überwachung der Adhärenz besteht darin, die klinischen Ergebnisse und Marker des Patienten zu beobachten. Bei Patienten mit Diabetes beispielsweise kann ein unerwarteter Anstieg des HbA1c-Wertes auf eine unzureichende Adhärenz hinweisen.

Technologische Unterstützung

  • Digitale Gesundheitstools
    ➜ Apps und andere mobile Gesundheitsanwendungen, die an die Einnahme von Medikamenten erinnern oder diese dokumentieren, bieten eine moderne Möglichkeit, die Adhärenz zu überwachen. Einige Systeme bieten sogar eine direkte Kommunikation mit dem behandelnden Arzt.
  • Telemedizinische Überwachung
    ➜ Durch regelmäßige Telemedizin-Konsultationen können Ärzte die Adhärenz ihrer Patienten besser überwachen und gleichzeitig Unterstützung bei der Einhaltung der Therapie bieten.

Verhaltensinterventionen und Follow-up

  • Motivierende Gespräche
    ➜ Das medizinische Fachpersonal kann Techniken der motivierenden Gesprächsführung einsetzen, um Patienten zur Einhaltung ihrer Therapiepläne zu motivieren und zu unterstützen.
  • Regelmäßige Nachuntersuchungen
    ➜ Durch regelmäßige Nachsorgetermine wird die Adhärenz nicht nur überwacht, sondern es können auch frühzeitig Hindernisse identifiziert und behandelt werden.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

  • Enger Austausch im Behandlungsteam
    ➜ Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern, Pflegepersonal und anderen Gesundheitsdienstleistern ist entscheidend, um ein umfassendes Bild der Adhärenz eines Patienten zu erhalten und gemeinsam Strategien zur Unterstützung zu entwickeln.

Adhärenz vs. Compliance

Die Begriffe „Adhärenz“ und „Compliance“ werden oft im Zusammenhang mit der Einhaltung von medizinischen Behandlungsplänen verwendet, doch sie haben unterschiedliche Bedeutungen und implizieren verschiedene Konzepte im Umgang mit Patienten.

Adhärenz

  • Bedeutung
    ➜ Adhärenz bezieht sich auf das Maß, in dem das Verhalten des Patienten hinsichtlich Medikamenteneinnahme, Lebensstiländerungen und anderen therapeutischen Maßnahmen mit den gemeinsam vereinbarten Empfehlungen des medizinischen Fachpersonals übereinstimmt. Der Begriff legt mehr Wert auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt.
  • Implikation
    ➜ Adhärenz impliziert eine aktivere Rolle des Patienten, bei der dieser in die Entscheidungsprozesse einbezogen wird und die Therapie in Übereinstimmung mit den eigenen Werten, Vorlieben und Möglichkeiten mitgestaltet. Es wird anerkannt, dass die Behandlung erfolgreicher ist, wenn der Patient motiviert ist und versteht, warum bestimmte Maßnahmen notwendig sind.
  • Beispiel
    ➜ Ein Patient, der nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Arzt zustimmt, regelmäßig Medikamente einzunehmen und eine Diät zu befolgen, weil er die Bedeutung dieser Maßnahmen versteht und unterstützt, zeigt eine hohe Adhärenz.

Compliance

  • Bedeutung
    Compliance bezieht sich auf das Ausmaß, in dem das Verhalten eines Patienten den Anweisungen des medizinischen Fachpersonals folgt. Es wird oft als „Therapietreue“ bezeichnet und impliziert, dass der Patient den vom Arzt vorgegebenen Anweisungen passiv folgt.
  • Implikation
    ➜ Der Begriff legt eine eher paternalistische Beziehung nahe, bei der der Patient Anweisungen befolgt, ohne notwendigerweise vollständig in die Entscheidungen einbezogen zu werden. Der Fokus liegt auf der Übereinstimmung mit ärztlichen Anweisungen, ohne die individuelle Situation des Patienten ausreichend zu berücksichtigen.
  • Beispiel
    ➜ Ein Patient, der die verschriebenen Medikamente einnimmt, weil der Arzt es so verordnet hat, ohne das eigene Verständnis oder Zustimmung zu hinterfragen, würde als compliant angesehen werden.

Zusammenfassung der Unterschiede

  • Compliance
    ➜ ist ein eher passiver Ansatz, bei dem der Patient den Anweisungen des Arztes folgt.
  • Adhärenz
    ➜ ist ein aktiverer und kollaborativer Ansatz, bei dem Patient und Arzt gemeinsam die besten Behandlungsstrategien entwickeln und der Patient in den Entscheidungsprozess eingebunden ist.

Zusammenfassung

Die Förderung der Adhärenz ist eine gemeinsame Aufgabe von Patienten und dem gesamten medizinischen Team. Durch gezielte Maßnahmen, die auf die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände der Patienten abgestimmt sind, kann die Adhärenz verbessert und damit die Gesundheitsergebnisse signifikant gesteigert werden. Für das medizinische Fachpersonal ist es unerlässlich, die Bedeutung der Adhärenz zu erkennen, potenzielle Barrieren zu identifizieren und patientenzentrierte Strategien zu entwickeln, um eine optimale Versorgung sicherzustellen.

Quellen

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