Physiologie

Wortart:
Substantiv, feminin
Aussprache (IPA):
[fyzioloˈɡiːə]
Adjektiv:
phy­sio­lo­gisch
Plural:
Physiologien
Trennung:
Phy|si|o|lo|gie
Gegenteil:
Pathologie
Englisch:
physiology
Abstammung:
griech.: φύσις (phýsis) = Natur, λόγος (lógos) = Lehre

Die Physiologie ist das Studium der Funktion und der Mechanismen, die in einem lebenden System wirken. Sie umfasst eine breite Palette von Themen, von der molekularen und zellulären Ebene bis hin zu komplexen Organismen und ihren Systemen. Für medizinisches Personal ist ein tiefes Verständnis der Physiologie entscheidend, um Patienten effektiv zu diagnostizieren und zu behandeln.

Zelluläre Physiologie

Zellmembran und Transportmechanismen

Die Zellmembran ist eine semipermeable Barriere, die die Zelle umgibt und den Austausch von Substanzen zwischen dem Zellinneren und der Umgebung reguliert. Sie besteht hauptsächlich aus einer Lipiddoppelschicht mit eingelagerten Proteinen. Zu den wichtigsten Transportmechanismen gehören:

  • Diffusion
    ➜ Passiver Transport von Molekülen entlang eines Konzentrationsgradienten.
  • Osmose
    ➜ Diffusion von Wasser durch eine semipermeable Membran.
  • Aktiver Transport
    ➜ Energieverbrauchender Transport von Molekülen gegen einen Konzentrationsgradienten, oft durch Proteine wie die Natrium-Kalium-Pumpe.

Zelluläre Kommunikation

Zellen kommunizieren über verschiedene Mechanismen, um Funktionen zu koordinieren und auf Veränderungen in ihrer Umgebung zu reagieren. Zu den Haupttypen der zellulären Kommunikation gehören:

  • Autokrine Signale
    ➜ Eine Zelle sendet Signale an sich selbst.
  • Parakrine Signale
    ➜ Signale werden an nahegelegene Zellen gesendet.
  • Endokrine Signale
    ➜ Hormone werden in den Blutkreislauf freigesetzt und erreichen entfernte Zielzellen.
  • Neuronale Signale
    ➜ Elektrische Impulse und Neurotransmitter vermitteln die Kommunikation zwischen Neuronen.

Gewebe und Organe

Muskelgewebe

Muskelgewebe wird in drei Haupttypen unterteilt:

  • Skelettmuskulatur
    ➜ Verantwortlich für die willkürliche Bewegung und durch Querstreifung gekennzeichnet.
  • Herzmuskulatur
    ➜ Findet sich nur im Herzen, ist ebenfalls quergestreift und für die Pumpfunktion des Herzens verantwortlich.
  • Glatte Muskulatur
    ➜ Befindet sich in den Wänden von Hohlorganen und Blutgefäßen, nicht quergestreift und für unwillkürliche Bewegungen zuständig.

Nervengewebe

Das Nervengewebe besteht hauptsächlich aus Neuronen und Gliazellen. Neuronen sind für die Übertragung von Nervenimpulsen zuständig, während Gliazellen verschiedene unterstützende Funktionen erfüllen, wie z.B. die Versorgung der Neuronen mit Nährstoffen und die Bildung der Myelinscheiden.

Systeme des menschlichen Körpers

Kreislaufsystem

Das Kreislaufsystem besteht aus dem Herzen, den Blutgefäßen und dem Blut. Es hat die Aufgabe, Sauerstoff, Nährstoffe und Hormone zu den Zellen zu transportieren und Abfallprodukte abzutransportieren. Wichtige Aspekte sind:

  • Herz
    ➜ Das Herz besteht aus vier Kammern und pumpt das Blut durch den Körper.
  • Blutgefäße
    Arterien, Venen und Kapillaren bilden ein Netzwerk, das den Blutfluss ermöglicht.
  • Blut
    ➜ Besteht aus roten Blutkörperchen, weißen Blutkörperchen, Blutplättchen und Plasma.

Atmungssystem

Das Atmungssystem sorgt für den Gasaustausch zwischen dem Körper und der Umwelt. Hauptkomponenten sind:

  • Lungen
    ➜ Hauptort des Gasaustauschs.
  • Atemwege
    ➜ Nase, Rachen, Luftröhre und Bronchien leiten die Luft in die Lungen.
  • Atemmuskulatur
    ➜ Zwerchfell und Interkostalmuskulatur sind für die Atembewegungen verantwortlich.

Verdauungssystem

Das Verdauungssystem zerlegt Nahrungsmittel in Nährstoffe, die vom Körper aufgenommen werden können. Es umfasst:

  • Mund
    ➜ Beginn der Verdauung durch Kauen und Enzyme im Speichel.
  • Magen
    ➜ Säure und Enzyme zerlegen die Nahrung weiter.
  • Dünndarm
    ➜ Hauptort der Nährstoffabsorption.
  • Dickdarm
    ➜ Resorption von Wasser und Elektrolyten.

Nervensystem

Das Nervensystem steuert und koordiniert alle Körperfunktionen. Es wird in das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS) unterteilt. Das ZNS besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark, während das PNS aus den Nerven außerhalb des ZNS besteht.

Endokrines System

Das endokrine System reguliert Körperfunktionen durch Hormone, die von endokrinen Drüsen in den Blutkreislauf abgegeben werden. Zu den wichtigsten Drüsen gehören:

  • Hypophyse
    ➜ Produziert Hormone, die andere Drüsen steuern.
  • Schilddrüse
    ➜ Reguliert den Stoffwechsel.
  • Nebennieren
    ➜ Produzieren Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol.

Homöostase und Regelmechanismen

Die Homöostase bezeichnet die Aufrechterhaltung eines stabilen inneren Milieus trotz äußerer Veränderungen. Dies wird durch verschiedene Regelmechanismen erreicht, wie z.B.:

  • Negative Rückkopplung
    • Ein Mechanismus, bei dem eine Abweichung vom Normwert eine Reaktion auslöst, die diese Abweichung korrigiert.
  • Positive Rückkopplung
    • Ein Mechanismus, bei dem eine Abweichung eine Reaktion verstärkt, wie z.B. bei der Blutgerinnung.

Teilgebiete der Physiologie

Zell- und Molekularphysiologie

  • Zellphysiologie
    ➜ Die Zellphysiologie untersucht die Funktionen und Mechanismen, die in einzelnen Zellen ablaufen. Dies umfasst die Analyse von Zellmembranstrukturen, Ionenkanälen, Transportmechanismen, Signaltransduktionswegen und der zellulären Kommunikation. Ein Schwerpunkt liegt auch auf der Untersuchung von Zellprozessen wie Mitose, Meiose, Apoptose und Zellstoffwechsel.
  • Molekularphysiologie
    ➜ Die Molekularphysiologie konzentriert sich auf die molekularen Mechanismen, die den physiologischen Prozessen zugrunde liegen. Hier werden die Rollen von Proteinen, Enzymen, Nukleinsäuren und anderen Biomolekülen in zellulären und subzellulären Prozessen untersucht. Techniken wie Genomik, Proteomik und Metabolomik sind in diesem Bereich von zentraler Bedeutung.

Systemphysiologie

  • Kreislaufsystem
    ➜ Die Kreislaufphysiologie befasst sich mit der Funktion des Herzens und der Blutgefäße sowie mit dem Blutfluss durch den Körper. Untersuchungsgegenstände sind die Herzmechanik, der Blutdruck, der Blutfluss in verschiedenen Organen und die Regulation des Kreislaufsystems.
  • Respiratorische Physiologie
    ➜ Die respiratorische Physiologie untersucht die Mechanismen der Atmung, den Gasaustausch in den Lungen, die Transportmechanismen für Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut und die Regulation der Atmung. Hierzu gehören auch die Untersuchung von Atemmuskulatur und -kontrolle.
  • Renale Physiologie
    ➜ Die renale Physiologie untersucht die Funktion der Nieren, einschließlich der Filtration des Blutes, der Bildung von Urin, der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts und der Säure-Basen-Homöostase. Auch die Rolle der Nieren in der Blutdruckregulation und Hormonproduktion wird betrachtet.
  • Gastrointestinale Physiologie
    ➜ Dieses Teilgebiet befasst sich mit den Funktionen des Verdauungssystems, einschließlich der Aufnahme, Verdauung und Absorption von Nährstoffen, der Motilität des Magen-Darm-Trakts, der Sekretion von Verdauungssäften und der Regulation durch das enterische Nervensystem.

Neurophysiologie

Die Neurophysiologie untersucht die Funktionen des Nervensystems, einschließlich der elektrischen und chemischen Signale, die Nervenzellen und -netzwerke übertragen. Wichtige Themen sind die Membranpotenziale, die neuronale Erregbarkeit, Synapsen und Neurotransmitter, sowie die sensorischen und motorischen Systeme des Körpers.

Muskelphysiologie

Die Muskelphysiologie befasst sich mit den Mechanismen der Muskelkontraktion und -entspannung, der Energiemetabolismus in Muskelzellen, der Steuerung durch das Nervensystem und den Anpassungen der Muskeln an verschiedene Belastungen und Trainingsformen.

Endokrine Physiologie

Die endokrine Physiologie untersucht die Funktion der endokrinen Drüsen und die Wirkungen der von ihnen produzierten Hormone. Dazu gehören die Regulation von Stoffwechselprozessen, Wachstum, Reproduktion und Stressreaktionen. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Hormonen und deren Rezeptoren sind zentrale Themen.

Integrative Physiologie

Die integrative Physiologie betrachtet die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Körpersystemen und deren gemeinsame Regulation, um die Homöostase zu gewährleisten. Sie untersucht, wie das Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem zusammenarbeiten, um die Gesundheit und Funktion des gesamten Organismus aufrechtzuerhalten.

Vergleichende Physiologie

Die vergleichende Physiologie untersucht die physiologischen Funktionen in verschiedenen Organismen und vergleicht diese, um allgemeine Prinzipien und spezies-spezifische Anpassungen zu identifizieren. Dies kann Aufschluss darüber geben, wie verschiedene Organismen ihre physiologischen Herausforderungen bewältigen und sich an ihre Umgebungen angepasst haben.

Umweltphysiologie

Die Umweltphysiologie erforscht, wie Organismen auf Umweltveränderungen reagieren und sich an verschiedene Umgebungen anpassen. Dies umfasst Untersuchungen zur Temperaturregulation, osmotischen Stress, Höhenanpassungen und die Auswirkungen von Umweltgiften.

Anwendungen der Physiologie in der Medizin

  • Diagnose
    • Ein fundiertes Wissen über Physiologie ist für die Diagnose von Krankheiten unerlässlich. Zum Beispiel hilft das Verständnis des Herz-Kreislauf-Systems bei der Diagnose von Herzerkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck.
  • Therapie
    • Physiologische Prinzipien sind auch bei der Entwicklung und Anwendung von Therapien wichtig. Zum Beispiel basiert die Insulintherapie bei Diabetes auf dem Verständnis des Glukosestoffwechsels und der Insulinwirkung.
  • Prävention
    • Präventive Maßnahmen, wie Impfungen oder die Förderung eines gesunden Lebensstils, basieren ebenfalls auf physiologischen Erkenntnissen.

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen in der medizinischen und biologischen Forschung. Er wird jährlich von der Nobelversammlung am Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden, verliehen. Der Preis wurde 1895 von Alfred Nobel gestiftet und ist eine der fünf ursprünglichen Kategorien der Nobelpreise.

Bisherige Preisträger und deren Beiträge

Seit der ersten Verleihung im Jahr 1901 hat der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin viele bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen anerkannt. Hier sind einige bemerkenswerte Preisträger und ihre Beiträge:

  • 1901: Emil von Behring
    • Für seine Arbeit an der Serumtherapie, insbesondere die Anwendung gegen Diphtherie und Tetanus.
  • 1923: Frederick Banting und John Macleod
    • Für die Entdeckung des Insulins.
  • 1953: Hans Krebs
    • Für die Entdeckung des Citratzyklus (Krebs-Zyklus).
  • 1962: James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins
    • Für ihre Entdeckungen zur molekularen Struktur der DNA.
  • 1984: Niels K. Jerne, Georges J.F. Köhler und César Milstein
    • Für Theorien und Techniken zur Herstellung monoklonaler Antikörper.
  • 2008: Harald zur Hausen
    • Für seine Entdeckung, dass humane Papillomaviren Gebärmutterhalskrebs verursachen.
  • 2020: Harvey J. Alter, Michael Houghton und Charles M. Rice
    • Für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus.

Zusammenfassung

Die Physiologie ist ein zentrales Fachgebiet in der Medizin, das ein tiefes Verständnis der Funktionsweise des menschlichen Körpers vermittelt. Für medizinisches Personal ist dieses Wissen entscheidend, um Patienten effektiv zu diagnostizieren, zu behandeln und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Ein kontinuierliches Studium und die Anwendung der Physiologie sind daher unerlässlich, um den Herausforderungen der modernen Medizin gerecht zu werden.

Quellen

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